Internationale Stele gegen das Vergessen (2010)
41 - Internationale Stele gegen das Vergessen, Ort zum Gedenken der HIV/AIDS-Opfer
An der Urania 22, Auf dem Mittelstreifen, Berlin-Schöneberg
der Audio-Beitrag ist leider noch nicht fertig 🙁 kommt aber bald 🙂
HIV stellte einen tiefen Einschnitt in die in den 1970er Jahren erkämpften Freiheitsrechte der Homosexuellen dar und bleibt bis heute ein Trauma der schwulen Subkultur. Die „Internationale Stele gegen das Vergessen“ an der Urania erinnert an diese tiefgreifende Gesundheitskrise des 20. Jahrhunderts infolge der AIDS-Pandemie. Das Mahnmal gedenkt der mehr als 35 Millionen Menschen, die weltweit an den Folgen von AIDS verstorben sind. Es verkörpert nicht nur Trauer, sondern auch den Kampf gegen Stigmatisierung und für Aufklärung.
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(dieser Text ist auch im Audio-Clip zu hören)
Das Denkmal des Bildhauers Bernhard Keller wurde zum Welt-AIDS-Tag 2010 eingeweiht. Roger Kilian, damaliger Vorsitzender von berlinpositiv, betonte die Funktion der Stele als Mahnmal gegen gesellschaftliche Ausgrenzung: „HIV kann jeden Menschen infizieren, unabhängig von Orientierung oder Herkunft.“ Seit 2016 wird der Gedenkort vom Orden der Schwestern der Perpetuellen Indulgenz gepflegt.
An der schwarzen Granitstele ist eine metallene rote Schleife befestigt – das weltweite Symbol der Solidarität mit HIV-Infizierten. Umrahmt wird sie von der Inschrift „Gegen das Vergessen“ in 22 Sprachen, ein Verweis auf die globale Betroffenheit von HIV/AIDS und Hepatits C. Ein benachbarter Begleitstein zitiert Judy Garlands „Over the Rainbow“ und Herbert Grönemeyers „Wenn ich die Augen schließ, dann seh ich dich“.
Als die US-Gesundheitsbehörde CDC am 5. Juni 1981 erstmals über fünf homosexuelle Männer mit seltenen Infektionen berichtete, ahnte niemand die globale Tragweite. In Deutschland wurden die ersten Fälle 1982 diagnostiziert, wobei die Betroffenen überwiegend schwule Männer und intravenös Drogen konsumierende Menschen waren. 1983 wurde die Deutsche Aidshilfe gegründet, die medizinische Hilfe, Safer-Sex-Aufklärung und Antidiskriminierungsarbeit vereinten.
Die 1980er- und frühen 1990er-Jahre waren von massiver Stigmatisierung geprägt; HIV-Infizierte galten als „sozialschädlich“. CSU-Politiker und bayerischer Innenstaatssekretär Peter Gauweiler setzte 1987 für Bayern einen Maßnahmenkatalog durch, der unter anderem folgende Punkte beinhaltete: Zwangstests für „Ansteckungsverdächtige“, insbesondere Prostituierte, Drogenabhängige und Homosexuelle; polizeiliche Vorführung von Personen, die sich einem HIV-Test verweigerten; Aufhebung der ärztlichen Schweigepflicht bei „uneinsichtigen“ Infizierten; Möglichkeit zur „Absonderung“ von Infizierten, die nicht auf sexuelle Kontakte verzichteten, nach richterlicher Anordnung. Diese Maßnahmen blieben bis 2001 in Kraft.
Zudem setzte Gauweiler härtere Regeln für homosexuelle Institutionen durch, was zur Schließung von Lokalen und strengen Auflagen für Saunen führte. 2012 verteidigte er sein Vorgehen „Der damalige Paukenschlag war notwendig und richtig, wir mussten gegen die Verharmlosung der Krankheit vorgehen.„
Dem setzte CDU-Bundesgesundheitsministerin Rita Süßmuth ab 1986 einen gegensätzlichen Ansatz entgegen. Sie veröffentlichte 1987 das Buch „AIDS: Wege aus der Angst“ und wandte sich entschieden gegen Ausgrenzung und bezog bei ihrem Handeln als Ministerin die am stärksten betroffenen Gruppen als Partner in die Prävention ein. Damit legte sie die Grundlage für die bis heute erfolgreiche HIV-Prävention in Deutschland. Trotz erheblicher Widerstände setzte sie sich mit ihrem Kurs durch. Seit 2006 ist sie in Anerkennung ihrer Arbeit Ehrenvorsitzende der Deutschen Aidshilfe.
Bis Mitte der 1990er Jahre galt eine HIV-Diagnose als Todesurteil. Eine ganze Generation schwuler Männer verlor einen Großteil ihres Freundeskreises und fragte sich, warum sie selbst zu den Überlebenden gehörten. Heute können HIV-positive Menschen mit frühzeitiger Diagnose und Behandlung eine nahezu normale Lebenserwartung haben.
Der Schutz vor HIV ist durch Safer Sex möglich, zusätzlich kann eine regelmäßige Einnahme der sogenannten „PrEP“ (Präexpositionsprophylaxe) vor einer Ansteckung schützen. Die Kosten werden in Deutschland ab 2019 von den Krankenkassen übernommen.
Laut Robert Koch-Institut (RKI) lebten Ende 2023 etwa 96.700 Menschen mit HIV in Deutschland, darunter 8.200 unerkannte Fälle. Während antiretrovirale Therapien AIDS-bedingte Todesfälle drastisch reduzierten, stagniert die Prävention, insbesondere bei Drogenkonsumierenden und Heterosexuellen. Im Jahr 2023 wurden schätzungsweise 2.200 Neuinfektionen registriert.
In Subsahara-Afrika war die HIV/AIDS-Situation verheerend, hat sich in den letzten Jahrzehnten jedoch deutlich verbessert. Dank sinkender Neuinfektionen, rückläufiger Todesfälle und verbessertem Zugang zu antiretroviraler Therapie leben heute etwa 25,9 Millionen Menschen in Subsahara-Afrika mit HIV. Trotz dieser Fortschritte bleibt die Lage ernst, insbesondere für Kinder und in Regionen mit begrenztem Zugang zu medizinischer Versorgung. Die Zukunft hängt entscheidend von der Fortführung und Ausweitung der Präventions- und Behandlungsprogramme ab.
Die „Internationale Stele gegen das Vergessen“ erinnert daran, dass gesellschaftliche Akzeptanz ebenso entscheidend ist wie medizinische Fortschritte. Sie mahnt, aus der Geschichte zu lernen: Während die medizinische Gemeinschaft auf eine Elimination des Virus hinarbeitet, bleibt die soziale Dimension der Krise bestehen. Nur durch entstigmatisierte Räume für Testung und Behandlung lässt sich die Pandemie endgültig besiegen. Die Stele, eingebettet in Berlins Regenbogenkiez, steht somit für eine Erinnerungskultur, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verbindet.
Bildergalerie Internationale Stele gegen das Vergessen



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Weiterführende Links & Quellen:
- Podcast-Serie „I Will Survive – der Kampf gegen die Aids Krise“, 2024, Bayrischer Rundfunk
- Online-Artikel „Als die CSU in den Krieg gegen Aids zog“, Süddeutsche Zeitung, 2012
- Online-Information zur „Internationale Stele GEGEN DAS VERGESSEN“ des Vereins „Orden der Schwestern der Perpetuellen Indulgenz e.V.“ der für die Pflege des Denkmals zuständig ist
- Online-Artikel „Gauweilers Plan – „Die schwule Infrastruktur zerschlagen““ von Axel Schock, Magazin HIV, 2012
Hinweis Begrifflichkeiten:
Die in den Texten verwenden Begriffe, werden teilweise so verwendet, wie sie zur Zeit der queeren Held*innen üblich waren, wie zum Beispiel das Wort „Transvestit“, welches als Selbstbezeichnung von einigen Personen gewählt wurde. Dies würden wir heute viel differenzierter ausdrücken, unter anderem als Trans*, Crossdresser, Draq King, Draq Queen, Gender-nonkonform oder nicht binär. Sofern möglich, werden die Bezeichnungen gewählt, die die Person für sich (vermutlich) gewählt hatten, jedoch wissen wir teilweise nicht, wie sich die Personen selbst bezeichnet haben oder wie sie sich mit dem heutigen Wortschatz beschreiben würden.
Zudem wird auch das Wort „Queer“ verwendet, welches zur Zeit der meisten beschriebenen queeren Held*innen noch gar nicht existierte. Dennoch ist es heute das passendste Wort, um inklusive alle die zu bezeichnen, die nicht der heterosexuellen-cis-Mehrheit entsprechen.
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