Schwules Museum (1984)
6 - Schwules Museum, Museumsstandort seit 2013
Lützowstr. 73, Berlin-Tiergarten
der Audio-Beitrag ist leider noch fertig 🙁 kommt aber bald 🙂
Das Schwule Museum Berlin hat sich seit seiner Gründung im Jahr 1985 zu einer weltweit bedeutenden queeren Institution entwickelt. Es vereint Archivarbeit, Ausstellungen und politische Bildung unter einem Dach, mit dem Ziel, lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, inter* und queere Lebensrealitäten sichtbar zu machen. Mit über 130 Ausstellungen, einem Archiv von 1,5 Millionen Dokumenten und einem Programm, das Aktivismus mit akademischer Forschung verbindet, dokumentiert das Museum nicht nur die Vergangenheit, sondern prägt auch aktuelle Debatten über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt.
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(dieser Text ist auch im Audio-Clip zu hören)
Die Idee zu einer Ausstellung entstand in einer Zeit als die AIDS-Krise die Schwulenbewegung politisierte, während konservative Gegenbewegungen erstarkten. Manfred Baumgardt hatte eine Magisterarbeit zur Schwulenbewegung der 1920er geschrieben und schlug dem neuen Museumsdirektor des Berlin Museums eine Ausstellung zu dem Thema vor, der dies begeistert umsetzen wollte. 1984 begannen Andreas Sternweiler, Wolfgang Theis, Manfred Baumgardt und Manfred Herzer daraufhin die wegweisende Ausstellung „Eldorado – Homosexuelle Frauen und Männer in Berlin 1850–1950″ im Berlin Museum, heute Teil des Märkischen Museums zu kuratieren. Während ihrer Nachtschichten sichteten sie Archivmaterial zu queeren Lebenswelten. Sie kontaktierten ihnen bekannte Lesben, unter anderem Christiane von Lengerke, die den lesbischen Teil der Ausstellung kuratierten. Sie [P1] [RN2] entwarfen gemeinsam eine Ausstellung, die gleichermaßen schwule und lesbische Lebenswelten zeigte.
Die Ausstellung präsentierte erstmals Polizeiakten zur Verfolgung nach §175 neben Fotografien von Drag-Bällen der 1920er-Jahre und Briefen von Magnus Hirschfeld. Ein zentrales Exponat war die Rekonstruktion der Bar Eldorado, die bis 1933 ein Treffpunkt der queere Comunity gewesen war. Der Erfolg war beachtlich: Über 40.000 Besucher*innen sahen die Ausstellung. „Die Gesellschaft war bereit, sich mit ihrer eigenen Verdrängungsgeschichte zu konfrontieren“, notierte Theis später. Doch es gab auch Kontroversen: CDU-Politiker forderten die Schließung, während Schwulenverbände kritisierten, die Ausstellung reduziere Homosexualität auf „Tragik und Verfolgung“.
Als bei weiteren Ausstellungen in Berlin weiterhin keine homosexuelle Repräsentanz erkennbar war, sagten sich die Initiatoren, „Das funktioniert so nicht. Heteros werden das nicht für uns machen; wenn, müssen wir das selbst machen. Und die Idee war schon da, dass wir ein Schwules Museum gründen wollten.“ Am 6. Dezember 1985 wurde der Verein „Freunde eines Schwulen Museums in Berlin e.V.“ gegründet. Erste Archivbestände entstanden in zwei Räumen der Allgemeinen Homosexuellen Arbeitsgemeinschaft (AHA) in der Friedrichstraße 12. Die 1986 eröffnete Ausstellung „Igitt – 90 Jahre Homopresse“ präsentierte frühe Zeitschriften wie Der Eigene (1896–1932), die trotz Strafverfolgung ein Netzwerk von Leser*innen schufen.
Die ersten Jahre waren von prekärem Aktivismus geprägt. „Wir hatten kein Geld, keine Fachkenntnis – nur die Wut über die Ignoranz der Geschichtswissenschaft“, erinnert sich Sternweiler.
1988 markierte der Umzug in die 200 m² großen Räume am Mehringdamm 61 den Übergang zum professionellen Betrieb. Hier entstanden ein Archiv und eine Präsenzbibliothek mit 5.000 Bänden.
2004 initiierte das Museum mit „Selbstbewusstsein und Beharrlichkeit. 200 Jahre schwule Geschichte“ seine erste Dauerausstellung. Auf Grundlage von 600 Exponaten spannte sie den Bogen vom preußischen Strafrecht 1794 bis zur Entkriminalisierung 1994.
Doch die ausschließliche Fokussierung auf schwule Männer geriet zunehmend in Kritik. Lesbenaktivistinnen wie Birgit Bosold, die 2006 in den Vorstand kam, drängten auf eine inhaltliche Erweiterung. „Ein Museum, das sich ‚Schwules Museum‘ nennt, muss erklären, warum es andere Identitäten ausschließt“, betonte Bosold.
Der Umzug 2013 in die Lützowstraße 73 war mehr als ein Ortswechsel – er markierte eine konzeptionelle Neuausrichtung. Das Museum etablierte sich als informeller Begegnungsort, der den Austausch zwischen verschiedenen queeren Communities fördert. Die neuen Räumlichkeiten boten mit vier Ausstellungsbereichen, Café, erweiterter Bibliothek und professionellen Archivräumen verbesserte Rahmenbedingungen für das wachsende Museum und die wachsenden Sammlungsbestände.
Inhaltlich öffnete sich das Museum verstärkt für Perspektiven. Die Ausstellung „Homosexualität_en“ (2015), eine Kooperation mit dem Deutschen Historischen Museum, setzte neue Maßstäbe in der Darstellung geschlechtlicher und sexueller Vielfalt.
Parallel zur institutionellen Etablierung durchlief das Museum einen intensiven Prozess der Reflexion. Die frühere Fokussierung auf schwule Geschichte wurde zunehmend durch lesbische, trans* und intergeschlechtliche Perspektiven ergänzt.
Die finanzielle Situation des Museums blieb über drei Jahrzehnte prekär. Die Arbeit wurde hauptsächlich durch private Spenden und ehrenamtliches Engagement getragen. Ein Wendepunkt kam 2010, als der Berliner Senat das Museum in die institutionelle Förderung aufnahm – eine politische Anerkennung, die erstmals finanzielle Planungssicherheit ermöglichte.
Das Schwule Museum steht weiterhin vor Herausforderungen, insbesondere in Bezug auf seine Finanzierung und queerfeindliche Angriffe. Doch die Arbeit des Museums und seiner umfangreichen Archivarbeit wird von über 60 ehrenamtlichen Mitarbeitenden getragen. Alle Beteiligten sind sich sicher: Das Schwule Museum bleibt die zentrale Anlaufstelle für alle, die sich mit queerer Geschichte und Kultur beschäftigen wollen.
Starte hier deine eigene Stadtführung zu den Orten queerer Held*innen rund um den Nollendorfkiez in Schöneberg. Auf der Karte unter dem Audio-Beitrag sind die nächsten Orte zu finden oder folge der vorgeschlagenen pinken oder orangenen Route.
Bildergalerie Schwules Museum

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Weiterführende Links & Quellen:
- Online-Artikel „Perverse Geschichte(n) – Das Schwule Museum als Ort emanzipatorischer Debatten, Kontroversen und Transformation“ von Heiner Schulze, 2024
- Online-Interview „»Wir wollen alle noch irgendwas mit dem Museum.« Interview mit Birgit Bosold, Aykan Safoğlu und Wolfgang Theis, Schwules Museum*“ von Jan-Henrik Friedrichs, 2018
Hinweis Begrifflichkeiten:
Die in den Texten verwenden Begriffe, werden teilweise so verwendet, wie sie zur Zeit der queeren Held*innen üblich waren, wie zum Beispiel das Wort „Transvestit“, welches als Selbstbezeichnung von einigen Personen gewählt wurde. Dies würden wir heute viel differenzierter ausdrücken, unter anderem als Trans*, Crossdresser, Draq King, Draq Queen, Gender-nonkonform oder nicht binär. Sofern möglich, werden die Bezeichnungen gewählt, die die Person für sich (vermutlich) gewählt hatten, jedoch wissen wir teilweise nicht, wie sich die Personen selbst bezeichnet haben oder wie sie sich mit dem heutigen Wortschatz beschreiben würden.
Zudem wird auch das Wort „Queer“ verwendet, welches zur Zeit der meisten beschriebenen queeren Held*innen noch gar nicht existierte. Dennoch ist es heute das passendste Wort, um inklusiv alle die zu bezeichnen, die nicht der heterosexuellen-cis-Mehrheit entsprechen.
Ein Projekt von Rafael Nasemann angegliedert an die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V., Berlin
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