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Magnus Hirschfeld (1868-1935)

3 - Hirschfeld Bar, Haus der Kulturen der Welt

John-Foster-Dulles-Allee 10, Berlin-Tiergarten

Magnus Hirschfeld war einer der bedeutendsten queeren Aktivisten des beginnenden 20. Jahrhunderts. Er war Mitbegründer der weltweit ersten Organisation, die sich für die Rechte homosexueller Menschen einsetzte und gründete das erste sexualwissenschaftliche Institut. Zudem wirkte er im ersten Spielfilm mit offen schwuler Thematik mit. Mittels des sogenannten Transvestitenscheins kämpfte er erfolgreich für die Rechte von trans* Personen und wirkte auch an den ersten geschlechtsangleichenden Operationen mit.

(dieser Text ist auch im Audio-Clip zu hören)

Magnus Hirschfeld wurde 1868 als Sohn eines jüdischen Arztes im ostpreußischen Kolberg geboren. Er studierte Medizin in Breslau und kam schließlich nach Berlin, wo er 1892 zum Doktor der Medizin promovierte.

Er veröffentlichte ab 1896 unter Pseudonym sein erstes Werk „Sappho und Sokrates oder wie erklärt sich die Liebe der Männer und Frauen zu Personen des eigenen Geschlechts?”. Darin beschreibt er auch den Selbstmord eines jungen Mannes, der sich das Leben nimmt aus Angst vor Verfolgung und Schmach durch den Paragrafen 175, welcher sexuelle Handlungen unter Männern unter Strafe stellte. Diese Geschichte nahm er im Mai 1897 zum Anstoß zur Gründung des wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK), der weltweit ersten Organisation für die Rechte Homosexueller. Zu den Gründungsmitgliedern in seiner Charlottenburger Wohnung gehörten auch Hirschfelds Verleger Max Spohr, der Schriftsteller Franz Joseph von Bülow und der Jurist Eduard Oberg. Ziel des Komitees war, durch Forschung eine Neubewertung und Anerkennung der Homosexualität und dementsprechende Gesetzesänderungen zu erreichen. Daher wählte es den Leitspruch „durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“

In seinen frühen medizinischen Publikation erläuterte Hirschfeld seine „Zwischenstufenlehre“: In seinen frühen medizinischen Publikation erläuterte Hirschfeld seine „Zwischenstufenlehre“: Er geht von einer angeborenen Sexualorientierung ausortet die Sexualität von Menschen in einem Spektrum mit vielen Stufen von Vollweib bis Vollmann. Danach gibt es laut Hirschfeld keine starre Geschlechtertrennung, auch nicht “Vollweib” noch “Vollmann”, sondern “Zwischenstufen” als individuelle, “natürliche” Mischungsverhältnisse von körperlichen, psychischen, psychosexuellen und psychosozialen Eigenschaften.  Im Übergangsfeld zwischen dem Männlichen und Weiblichen siedelt er die Homosexualität an. Er sieht eine hohe Bandbreite von Veranlagungen und eine enorme Vielfalt menschlicher Sexualität und Identität. Ein Plädoyer für die Verschiedenheit der Menschen und ein erster kleiner Grundstein der heutigen Queer-Theory, laut der es neben dem biologischem Geschlecht Elemente gibt, die losgelöst von gesellschaftlichen Normierungen zu einer variantenreichen (sexuellen) Identität eines Menschen führen.

Von 1899 bis 1923 gab Hirschfeld 23 Jahrgänge des „Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen“ mit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen heraus.

Hirschfeld erkannte die Wichtigkeit und Notwendigkeit der öffentlichen Meinungsbildung. Als 1871 der Paragrafen 175 in das neue Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches aufgenommen wurde, rechtfertigte der Innenminister diese Entscheidung mit der Rücksicht auf das „Volksbewusstsein“. Als Reaktion darauf richtete Hirschfeld beim WhK 1903 eine Propagandakommission ein, die sich um öffentliche Aufklärung und  Entkräftung falscher Klischeevorstellung über Homosexualität kümmern sollte. Die Flugblatt-Literatur bildete eine wichtige Stütze für die Petition des WhK zur Streichung des Paragraf 175. Vom populärsten Titel des WhK „Was soll das Volk vom dritten Geschlecht wissen?“, wurden 1901 18.000 Exemplare gedruckt. Im Laufe des nächsten Jahrzehnts wurde eine Gesamtauflage von 50.000 Exemplaren erreicht.

Auch mehr als 2.000 Vertreter*innen aus Politik, Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft unterzeichneten die WhK-Petition, wie die Maler*innen Walter Leistikow, Max Liebermann und Käthe Kollwitz und die Literaten Rainer Maria Rilke, Hermann Hesse, Heinrich und Thomas Mann als auch Stefan Zweig, sowie der Wissenschaftler Albert Einstein.

Auch die junge Sozialdemokratie war Unterstützerin des WhK. Deren Vorsitzender August Bebel unterzeichnete die Petition und brachte sie zwischen 1898 bis 1904 mehrfach erfoglos als Gesetzesvorschlag in den Reichstag ein. 1929 errang das WhK einen großen Erfolg. Der Strafrechtsausschuss des deutschen Reichstages beschloss, Homosexualität im geplanten neuen Strafgesetzbuch nicht mehr unter Strafe zu stellen. Zu einer Abstimmung im Reichstag kam es in Folge von Wirtschaftskrise und Notverordnungskabinetten allerdings nicht mehr.

Im Jahr 1919 gründete Hirschfeld die weltweit erste Einrichtung für Sexualforschung, sein Institut für Sexualwissenschaft, das schnell weltweite Anerkennung gewann. Für das Institut kaufte Hirschfeld das Haus Beethovenstraße 3 im Berliner Alsenviertel, wo sich heute das Haus der Kulturen der Welt befindet.

Regelmäßige Vorträge, Kurse und Behandlung von Geschlechtskrankheiten, Beratungen über sexuelle Probleme heterosexueller und queerer Personen gehörten ebenso wie eine internationale Vernetzung zum Tätigkeitsfeld des Instituts. Das Institut war Archiv, Fortbildungs- und Forschungsstädte, Museum und Zufluchtsort für Menschen die wegen ihrer sexuellen- oder geschlechtlichen Identität in Not geraten waren. Das Institut wirkte auch international, so dass unter Berufung auf die Forschungsergebnisse des Instituts die Sexualstrafgesetze der Sowjetunion, Norwegens und der Tschechoslowakei gelockert wurden.

1919 wirkte Hirschfeld als Co-Autor und Protagonist in „Anders als die anderen“ von Richard Oswald, dem ersten explizit schwulen Film der Filmgeschichte, mit. Der Film handelt von einem schwulen Musiker, der von einem Sexarbeiter erpresst wird. Darin spielt Hirschfeld mehr oder weniger sich selbst, einen Arzt, der vermittelt, dass Homosexualität keine Krankheit ist. Sein 20-jähriger Lebensgefährte Karl Giese spielt ebenso im Film mit. Die erhaltenen Teile des Films sind auf Vimeo zu finden.

Hirschfeld setzte sich auch für trans* Personen ein. In seiner Veröffentlichung, „Die Transvestiten – eine Untersuchung über den erotischen Verkleidungstrieb“ aus dem Jahr 1910, führte er die Bezeichnung „Transvestit“ als neuen Begriff ein. In der Weimarer Republik konnte das Cross-Dressing der trans* Personen als „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ gelten und wurde mit Geldstrafe oder bis zu zwei Jahren Gefängnis geahndet. Hirschfeld verfasste daher Gutachten und bestätigte für den sogenannten Transvestitenschein, dass eine Person zur Erhaltung der seelischen Gesundheit die Kleidung des anderen Geschlechts tragen müsse. Die Polizei erkannte dies an, so dass diese Personen nicht weiter behelligt wurden. Was man damals unter dem Wort “Transvestit” verstand, würden wir heute differenzierter unter anderem mit trans* Person, Drag Queen, Drag King, Crossdressing, nicht-binär und gender-nonkonform ausdrücken.

1930 war Hirschfelds Institut an den geschlechtsangleichenden Operationen an der dänischen Malerin Lili Elbe beteiligt. Sie war eine der ersten Personen die sich einer solchen Operation unterzog. Die Geschichte seiner Patientin kennt man heute vor allem aus dem Film „The Danish Girl“. Lili Elbe starb an Komplikationen nach der 4. Operation in Dresden.

Hirschfeld war oft Ziel nationalsozialistischer Hetzkampagnen, besonders im „Stürmer“ und seine Vorträge wurden zunehmend durch Schlägertrupps gestört. Auf Anraten von Freunden kehrte Hirschfeld von seiner Ende 1930 angetretenen Weltreise nicht nach Deutschland zurück. Er lebte zunächst in Zürich und Ascona in der Schweiz dann in Paris.

In seinem Pariser Exil unternahm Magnus Hirschfeld zusammen mit seinen Lebensgefährten Li Shiu Tong und Karl Giese den Versuch, das Institut für Sexualwissenschaft neu zu gründen. Dieser Versuch scheiterte aber. Hirschfeld erfuhr im Mai 1933 im Pariser Exil „unter tiefster seelischer Erschütterung“ von der Zerstörung seines Lebenswerks, als er im Kino die Plünderung seines Instituts für Sexualwissenschaft durch die Nationalsozialisten in einer Wochenschau mitansehen musste.

Hirschfeld verstarb 1935 im Exil in Nizza. Auf seinem Grab steht in Latein das Motto des WhK, “per scientam ad iustitiam”, „durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“.

In der heutigen Bewertung ist es wichtig, Hirschfelds im Kontext seiner Zeit zu betrachten. Viele seiner Ideen galten damals als fortschrittlich, auch wenn sie aus heutiger Sicht kritisch zu sehen sind. Er befürwortete die Eugenik als Mittel zur “Hervorbringung besserer und glücklicherer Menschen”. Dabei unterstützte er auch freiwillige Sterilisierungen aus eugenischen Gründen. Sein Ansatz in der Sexualforschung wird als zu biologistisch kritisiert. Obwohl er Rassenhierarchien ablehnte, zeigt er eine eurozentrische Sichtweise mit der Unterscheidung zwischen “Natur-” und “Kulturvölkern” .

Nach seinem Tod wurde 1938 sein letztes Buch „Rassismus“ veröffentlicht. Wieder ist er deutlich vor seiner Zeit und stellt fest, dass Rasse ein vom Menschen erfundenes soziales Konzept ist, dass medizinisch nicht belegbar ist und falsche Vorurteile begünstigt. Er verweist auf die pseudowissenschaftlichen Wurzeln der Rassenlehre und wendet sich damit posthum gegen Kolonialismus und die Ideologie von Hitler und den Nationalsozialisten. Als ob er geahnt hätte, was in den folgenden Jahren Schlimmstes passieren würde.

Bildergalerie Magnus Hirschfeld

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Weiterführende Links & Quellen:

Hinweis Begrifflichkeiten:

Die in den Texten verwenden Begriffe, werden teilweise so verwendet, wie sie zur Zeit der queeren Held*innen üblich waren, wie zum Beispiel das Wort „Transvestit“, welches als Selbstbezeichnung von einigen Personen gewählt wurde. Dies würden wir heute viel differenzierter ausdrücken, unter anderem als Trans*, Crossdresser, Draq King, Draq Queen, Gender-nonkonform oder nicht binär. Sofern möglich, werden die Bezeichnungen gewählt, die die Person für sich (vermutlich) gewählt hatten, jedoch wissen wir teilweise nicht, wie sich die Personen selbst bezeichnet haben oder wie sie sich mit dem heutigen Wortschatz beschreiben würden.

Zudem wird auch das Wort „Queer“ verwendet, welches zur Zeit der meisten beschriebenen queeren Held*innen noch gar nicht existierte. Dennoch ist es heute das passendste Wort, um inklusive alle die zu bezeichnen, die nicht der heterosexuellen-cis-Mehrheit entsprechen.

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