Gedenktafel Rosa Winkel (1989)
31 - Gedenktafel Rosa Winkel
U-Bahnhof Nollendorfplatz, Außenwand auf der Seite Richtung Süden / Motzstr., Berlin-Schöneberg
der Audio-Beitrag ist leider noch nicht fertig 🙁 kommt aber bald 🙂
HIV stellte einen tiefen Einschnitt in die in den 1970er Jahren erkämpften Freiheitsrechte der Homosexuellen dar und bleibt bis heute ein Trauma der schwulen Subkultur. Die „Internationale Stele gegen das Vergessen“ an der Urania erinnert an diese tiefgreifende Gesundheitskrise des 20. Jahrhunderts infolge der AIDS-Pandemie. Das Mahnmal gedenkt der mehr als 35 Millionen Menschen, die weltweit an den Folgen von AIDS und anderer sexuell übertragbaren Krankheiten verstorben sind. Es verkörpert nicht nur Trauer, sondern auch den Kampf gegen Stigmatisierung und für Aufklärung.
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(dieser Text ist auch im Audio-Clip zu hören)
1989 war die öffentliche Wahrnehmung Homosexueller stark von der steigenden Zahl an AIDS- und HIV-Fällen geprägt. Dass die homosexuelle Bewegung dieser Zeit mit der Anbringung dieses Mahnmals eine öffentliche Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus erreichte, ist bemerkenswert. Dies wurde insbesondere durch die Allgemeine Homosexuelle Arbeitsgemeinschaft (AHA) und die Arbeitsgemeinschaft Homosexualität und Kirche Berlin ermöglicht.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten schlugen für Homosexuelle schlagartig alle Türen zu, die Magnus Hirschfeld und andere Aktivist*innen zuvor mühsam geöffnet hatten. Nach nationalsozialistischer Ideologie verunreinigte eine „unzüchtige“ Verbindung zwischen Männern das deutsche Volk, da sie nicht zur Fortpflanzung der „deutschen Herrenrasse“ beitrug. Ziel der Politik war es, die Zeugungskraft des Mannes auf die „Sicherstellung und Erhaltung der gesunden Volkskraft“ zu konzentrieren und den „Kampf gegen den sittlichen Verfall“ zu führen. Der Leiter der Schutzstaffel (SS), Heinrich Himmler, glaubte, dass homosexuelle Männer die deutsche Jugend zur Homosexualität verführten und die öffentliche Verwaltung unterwanderten, indem sie das „Leistungsprinzip“ durch ein „erotisches Prinzip“ ersetzten.
Mit aller Macht versuchte das Hitler-Regime, das freie Leben der homosexuellen Minderheit zu unterdrücken. Am 23. Februar 1933 erließ Hermann Göring den Befehl, alle Lokale zu schließen, die „den Kreisen der widernatürlichen Unzucht huldigten“. Mit der Ermordung des homosexuellen SA-Chefs Ernst Röhm und seiner Vertrauten Ende Juni 1934 in der „Nacht der langen Messer“ radikalisierte sich die Verfolgung weiter. 1935 verschärften die Nazis den Paragrafen 175, der nun nicht mehr nur „beischlafähnliche“ Handlungen, sondern jegliche homosexuelle Kontakte unter Strafe stellte. Oralsex, gegenseitige Masturbation, sogar ein Kuss oder intensiver Blickkontakt konnten mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden. Wiederholungstätern drohten noch härtere Strafen. In schweren Fällen, etwa bei der Verführung von Personen unter 21 Jahren oder bei männlicher Prostitution drohten bis zu zehn Jahre Gefängnis. Eine Verurteilung hatte oft schwerwiegende soziale Folgen: Verlust des Arbeitsplatzes, der Wohnung, akademischer Titel, Beamtenstellen oder Approbationen.
Weibliche Homosexualität wurde im „Dritten Reich“ – außer im annektierten Österreich – offiziell nicht strafrechtlich verfolgt, Paragrafen 175 bezog sich nur auf Männer. In der patriarchalen Struktur des NS-Staates spielte die Sexualität von Frauen außerhalb der Reproduktion keine besondere Rolle. Lesbische Liebe galt nicht als „Staatsgefahr“, da politische und gesellschaftliche Posten ohnehin von Männern besetzt waren. Das „Rassenpolitische Amt“ der NSDAP führte jedoch ab 1938 eine sogenannte „Lesbenkartei“. Auch lesbische Frauen gerieten in Konflikt mit dem Regime und wurden unter dem Vorwurf der „Unzucht“, „Prostitution“ oder als „Asoziale“ verurteilt und in Gefängnisse oder Konzentrationslager deportiert. In vielen Fällen wurden sie mit dem Mittel der „Vorbeugehaft“ oder „Schutzhaft“ interniert, das heißt ohne Gerichtsverfahren und auf unbegrenzte Zeit.
Die systematische rechtliche und gesellschaftliche Verfolgung homosexueller Männer war jedoch in ihrem Umfang und ihrer Intensität weitaus tiefreifender und brutaler. Während 1935 die Inhaftierung von Homosexuellen in Konzentrationslagern noch als vorübergehende „erzieherische Maßnahme“ galt, gab es ab 1937 systematische Razzien und Einweisung in KZs als dauerhaftes Präventionskonzept. 1940 ordnete Heinrich Himmler die systematische Deportation aller verurteilten Homosexuellen in Konzentrationslager als „Vorbeugehaft“ an, wie etwa im Fall von Fritz Junkermann. Einigen Männern wurde eine „freiwillige“ Kastration nahegelegt, um weiteren Maßnahmen zu entgehen. Doch in den meisten Fällen wurden Versprechungen nicht eingehalten und die Verfolgung ging weiter. Junkermann starb wenige Monate nach seiner Kastration im KZ. Ab 1942 wurden Zwangskastrationen an homosexuellen Männern in Konzentrationslagern durchgeführt.
Das Erkennungszeichen homosexueller Männer in den Lagern war der rosa Winkel auf ihrer Häftlingskleidung. Die Behandlung durch die SS war besonders grausam. Homosexuelle Häftlinge wurden meist in Strafkompanien eingewiesen, wo die Arbeitsbedingungen besonders hart waren. In Sachsenhausen mussten sie im berüchtigten Klinkerwerk schuften, in Buchenwald im Steinbruch, in Dachau in der Kiesgrube.
Schätzungen zufolge registrierte die Polizei während des Dritten Reichs 100.000 Homosexuelle in sogenannten „Rosa-Listen“. Mehr als 50.000 wurden verurteilt und über 10.000 in Konzentrationslager deportiert. Mindestens die Hälfte überlebte den Terror der Nazis nicht.
Doch auch nach Kriegsende endete die Verfolgung nicht. Die verschärfte Fassung des Paragrafen 175 blieb in der Bundesrepublik bis 1969 unverändert in Kraft. Etwa 50.000 Männer wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt. Erst 1969 wurde der Paragraf entschärft, 1994 endgültig abgeschafft. In der DDR galt bis 1968 eine mildere Version des Paragrafen, die erst 1989 vollständig aufgehoben wurde.
Heute erinnert am Nollendorfplatz nicht nur die Gedenktafel an die Geschichte der queeren Community. Seit 2014 strahlt die Kuppel des U-Bahnhofs nachts in den Farben des Regenbogens. Der Nollendorfplatz ist bis heute das Zentrum der queeren Szene Berlins, deren Wurzeln bis ins frühe 20. Jahrhundert zurückreichen.
Die Szene war in Berlin schon um die Jahrhundertwende entstanden, zunächst in der Friedrichtstadt in Mitte. Anfang der 1920er Jahre vervielfachte sich diese Zahl der Bars und Kneipen und die Szene verschob sich nach Schöneberg rund um den Nollendorfplatz – bis heute der wichtigste queere Kiez Berlins. Rasant öffneten Bars und Tanzdielen, genauso etablierten sich politische und gesellschaftliche Vereinigungen. Zu Anfang der 30er Jahre konnte man Tag- und Nachtleben in ungefähr 170 homosexuelle Clubs, Dielen, Cafés und Kneipen genießen.
Bildergalerie Gedenktafel Rosa Winkel



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Weiterführende Links & Quellen:
- Online-Artikel „Homosexuelle Opfer des Nationalsozialismus“, Gedenktafeln in Berlin
- „Rechtsgutachten zur Frage der Rehabilitierung der nach § 175 StGB verurteilten homosexuellen Männer: Auftrag, Optionen und verfassungsrechtlicher Rahmen“ von Martin Burgi, Antidiskriminierungsstelle des Bundes, 2016
- Wander-Ausstellung „Gefährdet leben. Queere Menschen 1933-1945“, der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, 2023-2025 an verschiedenen Orten in Deutschland mit Begleitheft
Hinweis Begrifflichkeiten:
Die in den Texten verwenden Begriffe, werden teilweise so verwendet, wie sie zur Zeit der queeren Held*innen üblich waren, wie zum Beispiel das Wort „Transvestit“, welches als Selbstbezeichnung von einigen Personen gewählt wurde. Dies würden wir heute viel differenzierter ausdrücken, unter anderem als Trans*, Crossdresser, Draq King, Draq Queen, Gender-nonkonform oder nicht binär. Sofern möglich, werden die Bezeichnungen gewählt, die die Person für sich (vermutlich) gewählt hatten, jedoch wissen wir teilweise nicht, wie sich die Personen selbst bezeichnet haben oder wie sie sich mit dem heutigen Wortschatz beschreiben würden.
Zudem wird auch das Wort „Queer“ verwendet, welches zur Zeit der meisten beschriebenen queeren Held*innen noch gar nicht existierte. Dennoch ist es heute das passendste Wort, um inklusive alle die zu bezeichnen, die nicht der heterosexuellen-cis-Mehrheit entsprechen.
Ein Projekt von Rafael Nasemann angegliedert an die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V., Berlin
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