Rita “Tommy” Thomas (1931-2018)
77 - Wohnort Rita “Tommy” Thomas ab 1967 & Hundesalon
Thaerstr. 42, Berlin-Friedrichshain
Rita „Tommy“ Thomas war eine lesbische Aktivistin, Hundefriseurin und Fotografin in Ost-Berlin, die in ihrer Wohnung eine Bar als Treffpunkt für die queere Community öffnete, als es wenige Alternativen gab. Ihre Fotografien dokumentierten queeres Leben in der DDR. Ihr Leben war geprägt von Mut, Authentizität und der Bereitschaft, anderen eine Stütze zu sein. Sie schuf Räume der Akzeptanz in einer oft feindseligen Umgebung und lebte offen ihre Identität, als viele andere sich noch versteckten.
weiterlesen
(dieser Text ist auch im Audio-Clip zu hören)
Rita Thomas wurde 1931 in Berlin-Weißensee geboren. Schon früh erkannte sie, dass sie sich zu Frauen hingezogen fühlte, und mit 15 Jahren begann sie, sich selbst „Tommy“ zu nennen. In einer Zeit, in der die Gesellschaft klare Erwartungen an Frauen hatte, entschied sich Tommy, ihren eigenen Weg zu gehen.
Stellen Sie sich eine Frau vor, die in den 1950er Jahren in Ost-Berlin einen hellen Trenchcoat, eine Fliege, weite Stoffhosen und dunkle Schnürschuhe trug, dazu eine markante Elvis-Tolle als Frisur und eine Zigarette im Mundwinkel. Dieses Erscheinungsbild, das wir heute als „butch“ bezeichnen würden, wurde damals „Bubi“ genannt, zu dieser Zeit eine mutige Aussage gegen die vorherrschenden Geschlechternormen.
Nach dem Mauerbau waren die meisten queeren Lokale im Westteil der Stadt unerreichbar geworden, und der Bedarf an geschützten Räumen für queere Personen wuchs. So verwandelte Tommy ihre Wohnung in der Thaerstraße 42 in Friedrichshain in den 1960er Jahren in eine Bar. Sie baute kurzerhand einen Bartresen ein und schuf damit einen Ort, an dem ausgelassen gefeiert werden konnte. Es war ein sicherer Hafen für die queere Community Ost-Berlins. Ebenso wurde ihr Schrebergarten in Weißensee zum Treffpunkt.
Obwohl die DDR in mancher Hinsicht fortschrittlicher war als die BRD – beispielsweise wurde die Kriminalisierung männlicher Homosexualität hier früher abgeschwächt und abgeschafft – blieb das gesellschaftliche Klima oft von Homofeindlichkeit geprägt. Tommy ließ sich davon jedoch nicht einschüchtern und lebte ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen.
Tommy war nicht nur Gastgeberin und Aktivistin, sondern auch Hundefriseurin. Ebenso in der Thaerstraße 42 betrieb sie ihren Salon. Auch dressierte sie Hunde für Theater und Film und betreute Tiere in der Schutzhunde-Staffel.
Nachdem sich 1973 die Homosexuellen Interessengemeinschaft Berlin, kurz HIB gründete, war Tommy aktives Mitglied. Diese Organisation war der erste Zusammenschluss von queeren Menschen in der DDR und im gesamten damaligen Ostblock. Da es in der DDR schwierig war, für Veranstaltungen Räume zu mieten, half ihnen dabei Charlotte von Mahlsdorf. In ihrem Gründerzeitmuseum mit Bar Mulackritze bot die HIB kulturelle Aktivitäten an. Tommy engagierte sich hier als Teil des Kabaretts „Hibaré“, das mit Humor und Satire queere Themen auf die Bühne brachte. Charlotte von Mahlsdorf war auch häufige Besucherin von Tommys Wohnzimmerbar.
In den 1980er Jahren etablierte sich aus dieser Gruppe ein regelmäßiges Sonntagstreffen. Diese Zusammenkünfte fanden an verschiedenen Orten und 1990 wurde aus den sonntäglichen Treffen der Verein Sonntagsclub e.V. gegründet. Dieser Verein existiert bis heute und ist ein lebendiges Zeugnis für das Wirken von Tommy und ihren Mitstreiter*innen.
Ein besonders wertvolles Vermächtnis hinterließ Tommy als Fotografin. Mit ihrer Kamera dokumentierte sie ihr eigenes Leben und hielt so den queeren Alltag in der DDR fest. Viele ihrer Fotos zeigen sie mit ihrer Partnerin Helli oder fangen ausgelassene Momente mit Freund*innen ein. Diese Aufnahmen, die heute im feministischen Archiv FFBIZ zu finden sind, geben uns einen einzigartigen Einblick in eine oft vergessene Welt.
Rita „Tommy“ Thomas starb 2018 im Alter von 87 Jahren. Ihr Urnengrab steht auf dem Friedhof der Auferstehungsgemeinde in Berlin-Weißensee.
Am 6. November 2024 wurde zu Ehren von Rita „Tommy“ Thomas eine Gedenktafel an ihrem ehemaligen Wohnhaus in der Thaerstraße 42 enthüllt.
Bildergalerie Rita “Tommy” Thomas





Weitere Orte & Audio-Beiträge
Weitere Audio-Beiträge in der Nähe:
Weiterführende Links & Quellen:
- Film/Vortrag „Queer Home Berlin? Spuren im Nachlass von Rita „Tommy“ Thomas“, mit Andrea Rottmann
- Online-Artikel „Rita ‚Tommy‘ Thomas“ von Karl-Heinz Steinle, 2024, in Digitales Deutsches Frauenarchiv
- Online-Artikel „Das unkonventionelle Leben der Rita „Tommy“ Thomas” von Christopher Ferner, 2024 für RBB24.de
- Online-Artikel & Fotoprojekt „Rita Thomas“, für das feministische Archiv FFBIZ
- Film & Buch „… viel zu viel verschwiegen. Eine historische Dokumentation von Lebensgeschichten lesbischer Frauen in der DDR“ von Christina Karstädt & Anette von Zitzewitz, Berlin 1996.
Buch: Ausleihbar in der Amerika-Gedenkbibliothek Berlin, Soz 166/674 oder Spinnboden Lesbenarchiv & Bibliothek e.V.
Hinweis zu den Begrifflichkeiten:
Die in den Texten verwenden Begriffe entsprechen zu weiten Teilen denen, die zur Zeit der queeren Held*innen üblich waren, so zum Beispiel das Wort „Transvestit“, welches von einigen Personen auch als Selbstbezeichnung gewählt wurde. Dies würden wir heute viel differenzierter ausdrücken, unter anderem als Trans*, Crossdresser, Dragking, Dragqueen, gender-nonkonform oder nicht-binär. Sofern möglich, werden die Bezeichnungen benutzt, die eine betreffende Persönlichkeit (vermutlich) für sich selbst gewählt hat. Jedoch wissen wir teilweise nicht, wie sich historische Personen selbst benannt haben oder wie sie sich mit dem heutigen Wortschatz beschreiben würden.
Zudem wird auch das Wort „queer“ verwendet, welches zur Zeit der meisten beschriebenen queeren Held*innen noch gar nicht existierte. Dennoch ist es heute das passendste Wort, um inklusiv all die zu bezeichnen, die nicht der heterosexuellen Cis-Mehrheit entsprechen.
Ein Projekt von Rafael Nasemann angegliedert an die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V., Berlin.
Gefördert durch die Hannchen-Mehrzweck-Stiftung – Stiftung für queere Bewegungen
Die Karte wurde mit dem WP Go Maps Plugin erstellt. Danke für die kostenlose Lizenz https://wpgmaps.com
© 2025 – Rafael Nasemann, alle Rechte vorbehalten