Ellis Bierbar (1946- 1986)

75 - Ellis Bierbar, heute Cedar Restaurant

Skalitzer Str. 102, Berlin-Kreuzberg

Ellis Bierbar war eine Schwulen- und Lesbenbar, in der sich soziale Grenzen auflösten. In der Skalitzer Straße 102 gegenüber der Hochbahnstation Görlitzer Bahnhof trafen sich Arbeitende mit Intellektuellen, Transvestiten mit Künstler*innen, Sexarbeitende und „Normalos“ aus dem Block. Hier legte Charlotte von Mahlsdorf als DJ auf und es war einer der ersten Treffpunkte für Lederkerle. Rosa von Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ wurde 1971 zu großen Teilen in Elli’s Bierbar gedreht. Der Film gilt als wichtiger Impuls der Schwulenbewegung.

(dieser Text ist auch im Audio-Clip zu hören)

Elisabeth „Elli“ Hartung eröffnete 1946 Ellis Bierbar war und schuf einen geschützten Raum für die queere Community. Die Kneipe war ursprünglich von ihrer Mutter 1912 gegründet worden.

Besonders in den 1950er und 1960er Jahren war die Bar eine queere Institution. Die Bar zog ein buntes Publikum an: Arbeitende auf dem Weg zur Früh- oder Nachtschicht, Künstler*innen, Intellektuelle sowie Nachtschwärmende aus anderen Teilen Berlins. Zu den prominenten Gästen zählten Persönlichkeiten wie Curd Jürgens, Ingeborg Bachmann, Günther Grass, Hildegard Knef, Udo Lindenberg und Marianne Rosenberg. Auch Rudi Dutschke und Mitglieder der linken Kommune 1 verkehrten hier.

Die Betreiberin Elli, eine charismatische und resolute Frau, prägte die Atmosphäre der Bar maßgeblich. Elli war eine lesbische Zahnärztin, die lederliebende starke Männer und Mädels um sich versammelte. Sie trat stets in einer Lederweste auf und warf sogar unliebsame Gäste eigenhändig hinaus. Ihre Persönlichkeit trug dazu bei, dass sich Menschen aus verschiedensten sozialen Schichten in ihrer Kneipe willkommen fühlten. Allerdings war Elli auch eine glühende Nazi-Anhängerin, weswegen sie zunächst keine Schankerlaubnis erhielt.

In den 1950er Jahren kam es verstärkt zu Polizeieinsätzen gegen Schwulentreffpunkte. Lokale wurden observiert und Kennzeichen der geparkten Autos notiert, um die Besitzenden zu identifizieren und sie in den „Homosexuellen-Index“ einzutragen. Auch mit Razzien wurden Schwule verfolgt, so wurde im November 1957 Ellis Bierbar gestürmt, von 100 anwesenden Personen wurde ein Drittel festgenommen.

Auch Charlotte von Mahlsdorf besuchte gerne Ellis Bierbar. Sie war die berühmteste Trans*Person der DDR und schuf geschützte Räume für queere Personen in der ins Gründerzeitmuseum geretteten Bar Mulackritze. Als 1960 die Musikmaschine einmal nicht funktionierte, holte sie von zu Hause ihr Grammophon und ihre Platten und legte seitdem regelmäßig in Ellis Bierbar auf. Man kann Charlotte damit als eine der ersten Berliner DJs bezeichnen, obwohl diese Karriere schon 1961 mit der DDR-Grenzschließung schnell unterbunden wurde.

Ab 1966 wurde ein regelmäßiger „Ledertag“ eingeführt, weshalb Ellis Bierbar als die erste Lederbar der BRD gilt. 

Rosa von Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ wurde 1971 zu großen Teilen in Ellis Bierbar gedreht. Der Film beschreibt Ellis Bierbar als einen inklusiven Ort: „Arbeiter und ältere Schwule, die in den piss-eleganten Schwulenläden nicht geduldet werden, fühlen sich hier zuhause, wo sie wie eine große Familie zusammensitzen und in hektischer Fröhlichkeit ihre Einsamkeit zu vergessen suchen.“

Im Anschluss an die Filmvorführungen gründeten sich zahlreiche Homosexuelleninitiativen wie in Berlin die Homosexuelle Aktion Westberlin (HAW). Der Film brach mit mehreren Tabus: Er verwendete etwa 100-mal die Wörter „schwul“ und „Schwuler“, als positive Selbstbezeichnung, was damals als sehr provokant empfunden wurde. Der Film zeigte den ersten Kuss zwischen zwei Männern im deutschen Fernsehen und kritisierte offen die Situation der Homosexuellen in der Gesellschaft und ihre eigene Rolle darin. Er richtet sich weniger gegen die repressive Mehrheitsgesellschaft als an die nach gesellschaftlicher Akzeptanz strebenden, angepassten Schwulen und endet mit dem legendären Aufruf: „Raus aus den Toiletten, rein in die Straßen!“

Von Praunheim zwangs-outete 1991 in der RTL-Sendung „Explosiv – Der heiße Stuhl“ den Entertainer Hape Kerkeling und den Moderator Alfred Biolek als schwul. Um öffentlichkeitswirksame Solidarität von homosexuellen Prominenten einzufordern, nahm von Praunheim dabei keine Rücksicht auf die Persönlichkeitsrechte von Kerkeling oder Biolek.

Über 40 Jahre betrieb Elli ihren queeren Safespace und verkaufte das Lokal 1986 an Freunde.

Bildergalerie Ellis Bierbar

Weitere Orte & Audio-Beiträge

Weitere Audio-Beiträge in der Nähe:

Weiterführende Links & Quellen:

  • Artikel „Hartungs Bier- und Weinstuben“ von Andreas Pretzel in: Jens Dobler (Hg.): Von anderen Ufern. Geschichte der Berliner Lesben und Schwulen in Kreuzberg und Friedrichshain, Berlin, 2003, S. 232-239).
    Verfügbar in Berliner Bibliothek
  • Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ von Rosa von Praunheim, 1971, Verfügbar in Berliner Bibliothek
  • Online-Ausstellung „100 Objekte: 45 – 100“, 2020, Schwules Museum Berlin, Beschreibung der Objekte 84-86

Hinweis zu den Begrifflichkeiten:

Die in den Texten verwenden Begriffe entsprechen zu weiten Teilen denen, die zur Zeit der queeren Held*innen üblich waren, so zum Beispiel das Wort „Transvestit“, welches von einigen Personen auch als Selbstbezeichnung gewählt wurde. Dies würden wir heute viel differenzierter ausdrücken, unter anderem als Trans*, Crossdresser, Dragking, Dragqueen, gender-nonkonform oder nicht-binär. Sofern möglich, werden die Bezeichnungen benutzt, die eine betreffende Persönlichkeit (vermutlich) für sich selbst gewählt hat. Jedoch wissen wir teilweise nicht, wie sich historische Personen selbst benannt haben oder wie sie sich mit dem heutigen Wortschatz beschreiben würden.

Zudem wird auch das Wort „queer“ verwendet, welches zur Zeit der meisten beschriebenen queeren Held*innen noch gar nicht existierte. Dennoch ist es heute das passendste Wort, um inklusiv all die zu bezeichnen, die nicht der heterosexuellen Cis-Mehrheit entsprechen.

Ein Projekt von Rafael Nasemann angegliedert an die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V., Berlin.

Gefördert durch die Hannchen-Mehrzweck-Stiftung – Stiftung für queere Bewegungen

Home

Die Karte wurde mit dem WP Go Maps Plugin erstellt. Danke für die kostenlose Lizenz https://wpgmaps.com

© 2025 – Rafael Nasemann, alle Rechte vorbehalten