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Toppkeller (1924-1930)

33 - Toppkeller

Schwerinstr. 13, Berlin-Schöneberg

der Audio-Beitrag ist leider noch fertig 🙁 kommt aber bald 🙂

Der Toppkeller  galt als Treffpunkt für lesbische Frauen, die sich sexuell ausleben wollten und befand sich in der Schwerinstraße 13, verborgen in den Kellerräumen des dritten, unbeleuchteten Innenhofs. Zeitzeugenberichte beschreiben den Toppkeller als ausgesprochen heruntergekommen: „alt, hässlich, verschwenderisch mit bunten, billigen Papiergirlanden geschmückt, groß genug für einige hundert Menschen.“ Ab 1924 tanzten hier maskulin gekleidete Frauen im Anzug mit Bubikopf-Frisur zur Musik einer vierköpfigen Blaskapelle – umgeben von Dominas, neugierigen Künstlerinnen und Schauspielerinnen wie Marlene Dietrich, Anita Berber und Claire Waldoff.

(dieser Text ist auch im Audio-Clip zu hören)

Ein besonderes Highlight des Toppkellers war die „Prämierung der schönsten Damenwaden“. Dabei streckten fünf Frauen ihre Beine durch Löcher in einem Vorhang, sodass das Publikum seine Bewertung abgeben konnte. Gelegentlich verirrten sich auch Männer in das Gewölbe, meist aus voyeuristischen Gründen. Sie wurden als „Zechemacher“ geduldet – Gäste, die den Umsatz steigerten, aber nicht zum eigentlichen Publikum gehörten.

Die bekannte Chansonnette Claire Waldoff und ihre Lebensgefährtin Olga von Roeder feierten häufig mit dem Damenclub „Pyramide“ im Toppkeller. Waldoff erinnerte sich an die ausgelassenen Nächte: „Eintritt 30 Pfennig, vier Musiker mit Blasinstrumenten spielten die verbotenen Vereinslieder. Ein Saal mit Girlanden geschmückt, bevölkert von Malerinnen und Modellen. Von der Seite sah man bekannte Maler; schöne, elegante Frauen, die auch mal die Kehrseite von Berlin, das verruchte Berlin, kennenlernen wollten; und verliebte kleine Angestellte. Eifersüchteleien gab es, Tränen am laufenden Band, und immer wieder verschwanden Pärchen, um ihren Ehezwist draußen zu schlichten. Mehrmals am Abend erklang die berühmte ,Cognac-Polonaise‘, die man auf den Knien tanzte, mit einem gefüllten Cognac-Glas vor sich. […] Jeden Montagabend um neun Uhr fand die ,Pyramide‘ in der Schwerinstraße statt – das typische Berliner Nachtleben mit all seiner Sünde und Buntheit.

Zu den Gästen zählte auch Marlene Dietrich, mit der Waldoff laut Gerüchten eine Affäre gehabt haben soll. Ebenso gehörten die Nackttänzerinnen Celly de Rheydt und Anita Berber zu den Stammgästen. Anita Berber war eine der berühmtesten Tänzerinnen Berlins, eine Schauspielerin und eine Ikone des Nackttanzes. Sie bewegte sich in der queeren Bohème der Weimarer Republik und war sowohl an Männern als auch an Frauen interessiert. In den 1920er Jahren galt sie als die wildeste Frau Berlins.

Kaum bekleidet, verkörperte sie mit ihren exzessiven Auftritten den unbändigen Lebenshunger einer Generation, die von Krieg, Inflation und gesellschaftlichem Umbruch geprägt war. Ihre Shows waren skandalös, ihre Hemmungslosigkeit legendär. Sie nahm Morphium und Kokain, trank täglich eine Flasche Cognac und sorgte mit ihrem exzentrischen Verhalten immer wieder für Aufsehen.

Doch ab Herbst 1923 änderten sich die Zeiten: Die Einführung der Rentenmark brachte wirtschaftliche Stabilisierung, die alte Ordnung kehrte langsam zurück, und das ausschweifende Nachtleben normalisierte sich. Die Kunstbewegung der Neuen Sachlichkeit verdrängte den rauschhaften Expressionismus, und das Schönheitsideal verlagerte sich hin zum sportlichen Mädchen mit Bubikopf.

Berbers Stern begann zu sinken. Sie verbrachte in ihren letzten Jahre viel Zeit trinkend und koksend in Bars wie dem Eldorado oder dem Toppkeller. Ihre Gesundheit verschlechterte sich rapide.

1928, während eines Engagements in Beirut, brach sie auf der Bühne zusammen. Nach einer qualvollen Rückreise nach Berlin starb sie wenige Tage später am 10. November 1928 im Alter von nur 29 Jahren an Tuberkulose. Noch am Sterbebett soll sie sich die Lippen geschminkt und gesagt haben: „Der Kerl soll mich schön haben.“

Auch die lesbische Aktivistin und kommunistische Widerstandskämpferin Hilde Radusch erinnerte sich an ihre Nächte im Toppkeller – besonders an den „Wäschetanz“: „Die Röcke damals waren ja ziemlich lang, und darunter trug man Unterröcke mit Spitzen. Es wurde also getanzt, man durfte den Rock ein wenig anheben – das war furchtbar sexy. Dann kam die Polonaise, bei der man über Stühle klettern musste, die an der Kellerwand standen, um endlich zu dem ersehnten Küsschen zu kommen. Das war so aufregend, dass Frauen aus allen Gesellschaftsschichten hierherkamen, auch Schauspielerinnen. Es war immer voll, und freitags kam man kaum noch rein.

Der Schriftsteller Kurt Moreck besuchte den Toppkeller Ende der 1920er Jahre und beschrieb ihn als einen Ort, an dem Frauen nach einer Partnerin für die Nacht suchten: „Man sieht bekannte Tänzerinnen, auch Malerinnen, Frauen aus den Kreisen der besten Gesellschaft, die als Gäste sonst nur in Klubs verkehren und hier nur eine kurze Passage sehen, der sie bald wieder entschlüpfen. Sie kommen mit ihren unsteten Wünschen, ihren Launen, ihrem unruhigen Herzen und ihren wechselhaften Begierden. Sie suchen eine Freundin, eine Partnerin, ein Spielzeug für ihre kapriziösen Sinne, eine erotische Sensation. Sie kommen, weil dieser Ort eine Börse ist, wo man findet, was man sucht – ohne viel Mühe.

Der Toppkeller wurde 1930 geschlossen, die genauen Gründe sind nicht bekannt. Das Gebäude, in dem er sich befand, wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört.

Bildergalerie Toppkeller

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Weiterführende Links & Quellen:

Hinweis Begrifflichkeiten:

Die in den Texten verwenden Begriffe, werden teilweise so verwendet, wie sie zur Zeit der queeren Held*innen üblich waren, wie zum Beispiel das Wort „Transvestit“, welches als Selbstbezeichnung von einigen Personen gewählt wurde. Dies würden wir heute viel differenzierter ausdrücken, unter anderem als Trans*, Crossdresser, Draq King, Draq Queen, Gender-nonkonform oder nicht binär. Sofern möglich, werden die Bezeichnungen gewählt, die die Person für sich (vermutlich) gewählt hatten, jedoch wissen wir teilweise nicht, wie sich die Personen selbst bezeichnet haben oder wie sie sich mit dem heutigen Wortschatz beschreiben würden.

Zudem wird auch das Wort „Queer“ verwendet, welches zur Zeit der meisten beschriebenen queeren Held*innen noch gar nicht existierte. Dennoch ist es heute das passendste Wort, um inklusiv alle die zu bezeichnen, die nicht der heterosexuellen-cis-Mehrheit entsprechen.

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