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Lotte Hahm (1890-1967)

49 - Nationalhof, Treffpunkt Damenclub „Violetta“

Bülowstr. 37, Berlin-Schöneberg

Kurze Haare, Seitenscheitel, Fliege und Anzug waren die Markenzeichen von Lotte Hahm, eine der schillerndsten Persönlichkeiten der homosexuellen Subkultur des Berlins der Weimarer Republik. Sie eröffnete Lesbenbars, veranstaltete Damenbälle und gründete mit dem Damenclub Violetta einen der wichtigsten queeren Treffpunkte Berlins, den sie über die Machtübernahme der Nazis hinaus weiterhin verdeckt veranstaltete. Sie engagierte sich für Lesben und trans* Personen sorgte für deren Vernetzung und Emanzipation. Im Krieg half sie ihrer jüdischen Lebensgefährtin beim Untertauchen.

(dieser Text ist auch im Audio-Clip zu hören)

Charlotte Hedwig, genannt „Lotte“, Hahm wurde 1890 in Dresden geboren und zog Anfang der 1920er Jahre nach Berlin. Ihr Bruder war möglicherweise inter* oder trans* da in dessen Geburtsurkunde vermerkt ist, dass ein Namenswechsel von Agnes auf Joachim Carl stattfand. Dies hatte sicherlich auch das Verständnis von Geschlechteridentitäten und ihre Selbstwahrnehmung früh geprägt. Auf allen überlieferten Fotos nimmt sie mit ihrem androgynen Stil mit Herrenanzug, kurzen gescheitelten Haaren und schicken Anzügen den männlich geprägten Kleidungsstil schillernd auf. In Interpretation ihres Handelns kann man annehmen, dass sie sich als homosexuelle Frau und gleichermaßen als homosexueller Transvestit verstand und dass sie ein Geschlechter-Normen unkonformes Auftreten bevorzugte.

Sie gründete 1926 den Damenclub „Violetta“ mit bis zu 400 Teilnehmerinnen, der sich bis 1928 im Kreuzberger Jägerhof-Kasino in der Hasenheide 52-53 traf, später dann auch im Nationalhof in der Bülowstr. 37, sonntags im intimen roten Clubsaal. Lotte war erfinderisch und kreativ und überlegte sich für ihre Veranstaltungen charmant-witzige Themen und Spiele, wie das Windbeutel-Wettessen, die Mützenpolonaise, die Saalpost oder eine Mondscheindampferpartie. Im Namen des Damenklubs “Violetta” organisierte sie unter anderem im Nationalhof und in der Zauberflöte große Bälle „nur für Damen“. Beim „verkehrten Ball“ wurde „jede Dame in Hosen prämiert“. In der Zeitschrift „Die Freundin“ wurde für die Bälle geworben. Die Zeitschrift wurde ab 1924 verlegt und gilt als die weltweit erste Zeitschrift für Lesben. „Die Freundin“ war das Cluborgan des Frauenclubs und Lotte schrieb gelegentlich für die Zeitschrift. Androgyn und mit Smoking und Fliege ist sie auch 1929 auf dem Titelbild der Zeitschrift abgebildet (siehe Bildergalerie).

Der Club “Violetta” war verbunden mit dem Deutschen Freundschaftsverband, einer der großen Homosexuellenorganisationen der Zeit. Lotte versuchte auch durch den „Korrespondenz-Zirkel“ eine deutschlandweite Vernetzung zu erreichen und unterstützte Neugründungen weiterer Damenclubs in anderen Städten.

Ihre Clubs und Veranstaltungen waren nicht nur dem Vergnügen gewidmet, auch politisches und soziales Engagement waren essenzielle Bestandteile, denn Lotte kämpfte für Gleichberechtigung und Rechte von Lesben und trans* Personen. Sie schrieb: „Nicht nur Tanz und gesellige Veranstaltungen können euch Gleichberechtigung bringen, sondern auch Kampf ist nötig, wenn ihr Ansehen und Achtung haben wollt. Kampfeslust muss eure Herzen erfüllen und aus euren Augen leuchten. Darum organisiert euch im Bund für ideale Frauenfreundschaft.“

Über den Damenclub schrieb Ruth Margarete Roellig‘s Reiseführer „Berlins lesbische Frauen“ „Diese Vereinigung ist […] in jeder Weise bemüht, den an sich nicht auf Rosen gebetteten und lesbischen Frauen […] ein wenig Frohsinn in das Dasein zu tragen […] und geschlossen gegen die noch herrschende Ächtung der anders gearteten Frau anzukämpfen.“ Lotte führte soziale Praktiken zur Umverteilung der Veranstaltungserlöse zugunsten ärmerer Lesben ein oder erließ erwerbslosen Frauen den Eintrittspreis.

1929 wurden die beiden großen Damenclubs Berlins „Monbijou“, geführt von Kati Reinhardt und der Club „Violetta“ vereinigt. Dies begründete eine lang andauernde Zusammenarbeit der beiden Frauen, die bis in die Nachkriegszeit gehalten hat.

Mit Hilfe ihrer jüdischen Lebensgefährtin Käthe Fleischmann eröffnete sie 1931 die „Monokel-Diele“ und 1932 die „Manuela-Bar“ in Charlottenburg.

Nach der erzwungenen Schließung der Lokale durch die Nazis im März 1933 benannte Lotte Hahm den „Damenklub Violetta“ kurzerhand zur Tarnung in „Sportklub Sonne“ um und organisierte bis Dezember 1934 weiterhin geheime Tanzabende für Lesben und trans* Personen. 1935 wurde der “Sportclub Sonne aufgedeckt” und verboten, doch Lotte Hahm schloss den Club dem lesbischen Kegelklub „Die Lustigen Neun“ an. Ab Oktober 1935 organisierte dieser Kegelklub laut einer Überwachungsakte fünfzehn Bälle in Ballhäusern in Berlin-Kreuzberg mit bis zu 250 Teilnehmer*innen.

Hahm eröffnete 1935 ein Gästehaus auf Hiddensee an der Ostsee, vermutlich für ein vorwiegend lesbisches Publikum und arbeitete ab 1937 wieder in Berlin mit begrenztem Erfolg als Textilwarenhändlerin.

Mündliche Überlieferungen über eine zeitweise Verhaftung und KZ-Inhaftierung konnten bisher nicht belegt werden. Während der Zeit des Nationalsozialismus half sie ihrer jüdischen Lebensgefährtin Käthe Fleischmann zu fliehen, zunächst 1941/1942 nach Dresden und danach ins Saarland. Käthe überlebte das Naziregime in wechselnden Verstecken, zeitweise unterstützt von Lotte. Allerdings wird sich Käthe Fleischmann nach dem Krieg so äußern, dass sie sich von Lotte in dieser Zeit „im Stich gelassen“ fühlte.

Nach dem Krieg kehrt Lotte nach Berlin zurück und eröffnet 1945 mit Kati Reinhardt ein Lesbenlokal am Spittelmarkt. Die beiden veranstalteten Frauenbälle in der Zauberflöte, im Nationalhof und im Max & Moritz.

1958 bemühte sie sich um eine Neugründung des Bundes für Menschenrechte, leider erfolglos.

Lotte Hahm starb 77-Jährig 1967 in Berlin-Wannsee.

Seit 2023 erinnert in Berlin Kreuzberg eine Gedenkstele in der Hasenheide 52-53 an Lotte, dem Ort wo sich der Damenclub Violetta traf.

Das Gebäude in der Bülowstr. 37 hat den Krieg überlebt, allerdings war der Ballsaal des Nationalhofs im Hinterhof-Gebäude, das 1975 abgerissen wurde.

Bildergalerie Lotte Hahm

Weitere Orte & Audio-Beiträge

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Weiterführende Links & Quellen:

  • Online-Artikel „Lotte Hahm von Ingeborg Boxhammer und Prof. Dr. Christiane Leidinger, in Digitales Deutsches Frauenarchiv, 2024
  • Book “Desiring Emancipation: New Women and Homosexuality in Germany, 1890-1933” by Marti M. Lybeck, New York 2015
  • Artikel „Lesbische Subkultur im Regenbogenkiez“ von Katja Koblitz im Buch „Spurensuche im Regenbogenkiez – Historische Orte und schillernde Persönlichkeiten, Maneo-Kiezgeschichte Band 2, Berlin, 2018

Hinweis Begrifflichkeiten:

Die in den Texten verwenden Begriffe, werden teilweise so verwendet, wie sie zur Zeit der queeren Held*innen üblich waren, wie zum Beispiel das Wort „Transvestit“, welches als Selbstbezeichnung von einigen Personen gewählt wurde. Dies würden wir heute viel differenzierter ausdrücken, unter anderem als Trans*, Crossdresser, Draq King, Draq Queen, Gender-nonkonform oder nicht binär. Sofern möglich, werden die Bezeichnungen gewählt, die die Person für sich (vermutlich) gewählt hatten, jedoch wissen wir teilweise nicht, wie sich die Personen selbst bezeichnet haben oder wie sie sich mit dem heutigen Wortschatz beschreiben würden.

Zudem wird auch das Wort „Queer“ verwendet, welches zur Zeit der meisten beschriebenen queeren Held*innen noch gar nicht existierte. Dennoch ist es heute das passendste Wort, um inklusiv alle die zu bezeichnen, die nicht der heterosexuellen-cis-Mehrheit entsprechen.

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