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Anita Augspurg (1857-1943)

01 - Denkmal für die erste homosexuelle Emanzipationsbewegung

Magnus-Hirschfeld-Ufer, Berlin-Tiergarten

Anita Augspurg war eine lesbische Juristin und Pazifistin und die bedeutendste Frau des sogenannten radikalen Flügels der ersten Frauenbewegung, die vor allem durch ihren Einsatz für das Frauenstimmrecht Anfang des 20. Jahrhunderts bekannt wurde.

(dieser Text ist auch im Audio-Clip zu hören)

Sie wuchs in Verden an der Aller auf, besuchte ein Lehrerinnenseminar in Berlin, wurde Schauspielerin in Riga und Amsterdam und Fotografin mit eigenem Atelier „Elvira“ in München am englischen Garten (Von-der-Tannstraße 15, München ab 1888). Sie war unkonventionell, ritt im Herrensitz durch den englischen Garten, war Vegetarierin, rauchte, fuhr Fahrrad und später Auto und trug einen Kurzhaarschnitt. Sie studierte Jura in Zürich, weil Frauen der Zugang zur Universität in Deutschland noch verwehrt wird und wurde 1897 die erste promovierte Juristin im Deutschen Kaiserreich.

Sie veröffentlichte ab 1895 erste Publikationen als Juristin. Dabei ist ihre Kernthese, dass die Frauenfrage eine Frage der Finanzierung des Lebensunterhalts ist, oder wie sie es formuliert, eine „Nahrungsfrage“. Heute würden wir sagen, es geht ums Gender Pay Gap, der liegt im Kaiserreich bei 50%. Da nur rechtliche Veränderungen die Situation der Frau verbessern könne, fordert sie die Vollanerkennung der Frau als gleichberechtigtes Subjekt neben dem Manne, und ist in diesem Punkt auch nicht für Kompromisse zu haben. Sie will Eherecht verändern, welches die Frauen wie Minderjährige behandele. Im Gegensatz zu militanteren Feministinnen entsagt sie der Gewalt und sagt „Wir Frauen wollen keine Gesetze brechen, wir wollen Gesetze machen!“;

Sie zog 1897 nach Berlin und wohnte zunächst bei Mina Cauer in der Nettelbeckstrasse 21, heute An der Urania 15 und danach bei Agnes Hacker in der Eisenacher Str. 80. Sie engagierte sich für die Rechte der unverheirateten Frau, ging auf Aufklärungstour durch viele Städte und hielt Vorträge mit Fokus auf Familienrecht und Eherechte. Sie forderte zur Jahrhundertwende bei der Neuformulierung des BGB die Frau als Bürgerin zweiter Klasse abzuschaffen. Eine konkrete Forderung ist beispielsweise die Gütertrennung.

Augspurg, ihre Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann, Katharina Erdmann und Minna Cauer galten als der radikale Flügel der Frauenbewegung, welche das sofortige Stimmrecht ohne Kompromiss für Frauen forderten. Minna Kauer war eine der Initiatorinnen des Vereins „Frauenwohl“ und gründete die Zeitschrift „Die Frauenbewegung“ bei der Augspurg enge Mitarbeiterin von Cauer wurde. Nach einem Zerwürfnis mit Cauer im Jahr 1907 publizierte Augspurg die Monatszeitschrift „Zeitschrift für Frauenstimmrecht“ in Eigenregie. Von 1912 bis 1913 verlegte sie die Zeitschrift „Frauenstimmrecht“ und ab 1919 „Die Frau im Staat“ für ihre feministischen, radikaldemokratischen und pazifistischen Positionen. In ihren Veröffentlichungen nimmt sie klar Stellung gegen die zunehmenden antisemitischen Entwicklungen und kritisiert politische Missstände.

Den größten Erfolg erreichten die Frauenrechtlerinnen 1918 mit dem Erhalt des allgemeinen und gleichen Frauen-Wahlrechts in Deutschland.

Ab 1907 lebte Augspurg wieder in München in der Kaulbachstraße 12a zusammen mit Lida Gustava Heymann. 1915, während des Ersten Weltkriegs, initiierte Augspurg den Internationalen Frauenfriedenskongress in Den Haag mit, auf dem der „Internationale Ausschuss für einen dauernden Frieden“ gegründet wurde. Später wird der Ausschuss in „Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit“ umbenannt. Augspurg ist bis 1933 Teil des Vorstands des deutschen Ablegers. Augspurg und Heymann nahmen an internationalen Frauen-Friedenkonferenzen teil und engagierten sich mit Flugblättern gegen den 1. Weltkrieg. Nach einem brutalen Übergriff durch Nazis im Januar 1923, beantragten Augspurg und andere Frauen erfolglos beim bayerischen Innenminister die Ausweisung des Österreichers Adolf Hitler wegen Volksverhetzung. Hitler begeht Monate später seinen Putschversuch.

Augspurg äußerte sich nie öffentlich zu ihrer Homosexualität, wahrscheinlich um den Kampf um Frauenrechte und Pazifismus nicht zu gefährden. Sie konnte ihr Beziehungsleben mit Heymann relativ ungestört leben, der Paragraph 175 der für Homosexualität eine Gefängnisstrafe vorsah, galt nur für Männer. Sie wollte sich wohl Handlungsräume offenhalten, denn ihre Homosexualität wäre als Krankheit gesehen worden, was die argumentative Position für Frauenrechte geschwächt hätte. Den Kampf für Frauenrechte muss sie als wesentlicher eingeschätzt haben als ihre Diskriminierung als frauenliebende Frau.

Nach der Machtübernahme der Nazis befanden sich Augspurg und Heymann im Schweizer Exil, da sie aufgrund des Antrags auf Ausweisung Hitlers auf der Liste der zu liquidierenden Personen standen. Beide wurden ausgebürgert, ihr Besitz wurde beschlagnahmt und sie lebten fortan durch Unterstützung von Freund*innen im Exil in Zürich, wo sie als 70jährige noch Autofahren lernte. Anita Augspurg verstarb 1943, nur 5 Monate nach ihrer geliebten Lida, nach jahrzehntelanger gemeinsamer Liebes- und Arbeitsbeziehung.

Heute wird in München jährlich der Anita Augspurg Preis für Engagement für Frauengleichstellung in ihrem Gedenken verliehen.

Weitere Orte mit Anita Augspurg:

  • Fotoatelier Elvira mit Wohnhaus am englischen Garten, heute amerikanisches Konsulat, Von-der-Tannstraße 15, München / Karte
  • gemeinsame Wohnung mit Lida Gustava Heymann im Gartenhaus, Kaulbachstraße 12, München / Karte

Bildergalerie Anita Augspurg

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Weitere Orte & Audio-Beiträge

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Weiterführende Links & Quellen:

Hinweis Begrifflichkeiten:

Die in den Texten verwenden Begriffe, werden teilweise so verwendet, wie sie zur Zeit der queeren Held*innen üblich waren, wie zum Beispiel das Wort „Transvestit“, welches als Selbstbezeichnung von einigen Personen gewählt wurde. Dies würden wir heute viel differenzierter ausdrücken, unter anderem als Trans*, Crossdresser, Draq King, Draq Queen, Gender-nonkonform oder nicht binär. Sofern möglich, werden die Bezeichnungen gewählt, die die Person für sich (vermutlich) gewählt hatten, jedoch wissen wir teilweise nicht, wie sich die Personen selbst bezeichnet haben oder wie sie sich mit dem heutigen Wortschatz beschreiben würden.

Zudem wird auch das Wort „Queer“ verwendet, welches zur Zeit der meisten beschriebenen queeren Held*innen noch gar nicht existierte. Dennoch ist es heute das passendste Wort, um inklusiv alle die zu bezeichnen, die nicht der heterosexuellen-cis-Mehrheit entsprechen.

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