Magnus Hirschfeld (1868-1935)
Magnus Hirschfeld ist der bedeutendste queere Aktivist des beginnenden 20. Jahrhunderts. Er war Begründer der weltweit ersten Organisation für die Rechte Homosexueller, er gründete das erste Sexualwissenschaftliche Institut, spielte mit im ersten Film mit offen schwuler Thematik, wirkte mit an der ersten transgeschlechtlichen Operation und kämpfte mittels des Transvestitenscheins erfolgreich für die Rechte von Transpersonen. … mehr im Audio oder im Text weiter unten
Bildergalerie Magnus Hirschfeld
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Weiterführende Links und Quellen:
- Film „Anders als die Anderen“, Film von Richard Oswald von 1919, Stummfilm mit englischen Untertiteln, veröffentlicht auf Vimeo durch Guenter G. Rodewald https://vimeo.com/503754569
- Podcast-Folge „HU055 – Magnus Hirschfeld“ aus dem Podcast „Historia Universalis“, von von Karol Kosmonaut, Elias Harth, Oliver Glasner, 55min
https://podcasts.apple.com/de/podcast/historia-universalis/id1344799527?i=1000452522105 - Podcast-Folge „Magnus Hirschfeld – Pionier der Sexualforschung“ aus dem Podcast „Radio Wissen“, von Karol Kosmonaut, Elias Harth, Oliver Glasner, 23min
https://podcasts.apple.com/de/podcast/radiowissen/id257719552?i=1000539872851 - Buch „Das andere Berlin – Die Erfindung der Homosexualität: Eine deutsche Geschichte 1867 – 1933″, von Robert Beachy, Siedler Verlag 2015
Das andere Berlin – Beachy, Robert; Freundl, Hans; Pfeiffer, Thomas – Dussmann – Das Kulturkaufhaus
Magnus Hirschfeld wurde 1868 als Sohn eines jüdischen Arztes im ostpreußischen Kolberg geboren. Er studierte Medizin in Breslau und kam schließlich nach Berlin, wo er 1892 zum Doktor der Medizin promovierte.
Er veröffentlichte ab 1896 unter Pseudonym sein erstes Werk „Sappho und Sokrates oder wie erklärt sich die Liebe der Männer und Frauen zu Personen des eigenen Geschlechts?”. Darin beschreibt er auch den Selbstmord eines jungen Mannes, der sich das Leben nimmt aus Angst vor Verfolgung und Schmach durch den Paragrafen 175, welcher sexuelle Handlungen unter Männern unter Strafe stellte. Diese Geschichte nimmt er im Mai 1897 zum Anstoß zur Gründung des wissenschaftlich-humanitären Komitees, die weltweit erste Organisation für die Rechte Homosexueller. Zu den Gründungsmitgliedern in seiner Charlottenburger Wohnung gehören auch Hirschfelds Verleger Max Spohr, der Schriftsteller Franz Joseph von Bülow und der Jurist Eduard Oberg. Sie wählten den Leitspruch „durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“, um zu erreichen, das wissenschaftliche Forschung zu einer Neubewertung der Homosexualität als auch zu deren Anerkennung und zu entsprechenden Gesetzesänderungen führen würde.
In seinen ersten medizinischen Publikation erläutert Hirschfeld seine „Zwischenstufenlehre“: Er zeigt die Sexualität in einem Spektrum mit vielen Stufen von hetero bis homosexuell, aber führt mit der Identität bereits eine zweite Dimension ein ebenfalls mit sich Stufen zwischen genderkonform auf der einen Seite und nicht genderkonform auf der anderen Seite. Eine hohe Bandbreite von Veranlagungen und eine enorme Vielfalt menschlicher Sexualität und Identität. Ein Plädoyer für die Verschiedenheit der Menschen und eine höchst aktuelle und moderne Ansicht des heutigen 21. Jahrhunderts, welche als erste Grundlage der heutigen Queer-Theory gelten kann.
Von 1899 bis 1923 gab Hirschfeld 23 Jahrgänge des „Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen“ mit seinen neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen heraus.
Hirschfeld erkennt die Wichtigkeit und Notwendigkeit der öffentlichen Meinungsbildung. Als 1871 der Paragrafen 175 in das neue Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches aufgenommen wurde, rechtfertigte der Innenminister diese Entscheidung mit der Rücksicht auf das „Volksbewusstsein“. So richtete Hirschfeld beim WHK 1903 eine Propagandakommission ein, die sich um öffentliche Aufklärung und zur Entkräftung falscher Klischeevorstellung über Homosexualität kümmern soll. Die Flugblatt-Literatur bildet eine wichtige Stütze für die Petition des WHK zur Streichung des Paragraf 175. Vom populärsten Titel des WhK „was soll das Volk vom dritten Geschlecht wissen?“, wurden 1901 18.000 Exemplare gedruckt und es wurde im nächsten Jahrzehnt 50.000 Gesamtauflage erreichte.
Auch mehr als 2.000 Vertreter*innen aus Politik, Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft unterzeichneten die WhK-Petition, wie die Maler*innen Walter Leistikow, Max Liebermann und Käthe Kollwitz und die Literaten Rainer Maria Rilke, Hermann Hesse, Heinrich und Thomas Mann als auch Stefan Zweig, sowie der Wissenschaftler Albert Einstein.
Auch die junge Sozialdemokratie war Unterstützerin des WhK. Deren Vorsitzender August Bebel unterzeichnete die Petition und brachte sie zwischen 1898 bis 1904 mehrfach unerfolgreich als Gesetzesvorschlag in den Reichstag ein. 1929 errang das WhK einen großen Erfolg. Der Strafrechtsausschuss des deutschen Reichstages beschloss, Homosexualität im geplanten neuen Strafgesetzbuch nicht mehr unter Strafe zu stellen. Zu einer Abstimmung im Reichstag kam es in Folge von Wirtschaftskrise und Notverordnungskabinetten allerdings nicht mehr.
Im Jahr 1919 gründete Hirschfeld die weltweit erste Einrichtung für Sexualforschung, sein Institut für Sexualwissenschaft, das schnell weltweite Anerkennung gewann. Für das Institut kaufte Hirschfeld das Haus Beethovenstraße 3 im Berliner Alsenviertel etwas westlich vom Haus der Kulturen der Welt, gegenüber dem heutigen Magnus-Hirschfeld-Ufer gelegen. Dort ist auch eine weitere Gedenktafel zu finden.
Regelmäßige Vorträge, Kurse und Behandlung von Geschlechtskrankheiten, Beratungen über sexuelle Probleme heterosexueller und queerer Personen gehörten ebenso wie eine internationalen Vernetzung zum Tätigkeitsfeld des Instituts. Das Institut war Archiv, Fortbildungs- und Forschungsstädte, Museum und Zufluchtsort für Menschen in sexueller Not. Es war international bald so bekannt, dass unter Berufung auf seine Forschungsergebnisse die Sexualstrafgesetze der Sowjetunion, Norwegens und der Tschechoslowakei gelockert wurden.
1919 ist Hirschfeld Co-Autor und Mitwirkender im ersten schwulen Film der Filmgeschichte, „Anders als die anderen“ von Richard Oswald. Der Film handelt von einem schwulen Musiker, der von einem Stricher erpresst wird. Darin spielt Hirschfeld mehr oder weniger sich selbst, einen Arzt, der vermittelt, dass Homosexualität keine Krankheit ist. Sein Lebnesgefaehrte Karl Giese spielt ebenso im Film mit. Die erhaltenen Teile des Films sind auf Vimeo zu finden.
Hirschfeld setzte sich auch für Transpersonen ein. In seiner dritten Veröffentlichung, „die Transvestiten – eine Untersuchung über den erotischen Verkleidungstrieb“ aus dem Jahr 1910, führte er dieses neue Wort „Transvestit“ ein. Hirschfeld verfasste später Gutachten und bestätigte, im sogenannten Transvestitenscheinen, dass sich eine als männlich geborene Person als Frau fühle und umgekehrt. Die Polizei erkannte dies an, was für die Person zur Erlaubnis führte, Kleider des anderen Geschlechts öffentlich zu tragen. Was man damals unter dem Wort “Transvestit” verstand, würden wir heute differenzierter unter anderem mit trans* Person, Drag Queen, Drag King, Crossdressing, nicht-binär und gender-nonkonform ausdrücken.
1930 operierte Hirschfelds Institut Lili Elbe. Die Geschichte seiner Patientin kennt man heute aus dem Film „The Danish Girl“, einer lesbischen Malerin aus Dänemark, die sich als eine der ersten Personen einer geschlechtsangleichenden Operation in Berlin und Dresden unterzog. Sie starb an Komplikationen nach der 4. Operation in Dresden.
Hirschfeld war oft Ziel nationalsozialistischer Hetzkampagnen, besonders im „Stürmer“ und seine Vorträge wurden zunehmend durch Schlägertrupps gestört. Auf Anraten von Freunden war Hirschfeld von seiner Ende 1930 angetretenen Weltreise nicht zurückgekehrt. Er lebte zunächst in Zürich und Ascona in der Schweiz dann in Paris.
In seinem Pariser Exil unternahm Magnus Hirschfeld zusammen mit seinen Lebensgefährten Li Shiu Tong und Karl Giese den Versuch, das Institut für Sexualwissenschaft neu zu gründen. Dieser Versuch scheiterte aber. Hirschfeld verstarb 1935 im Exil in Nizza. Auf seinem Grab steht in Latein das Motto des WhK, “per scientam ad iustitiam” durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit.
Nach seinem Tod wurde 1938 sein letztes Buch „Rassismus“ veröffentlicht. Wieder ist er deutlich vor seiner Zeit und stellt fest, dass Rasse ein vom Menschen erfundenes soziales Konzept ist, dass medizinisch nicht belegbar ist und falsche Vorurteile begünstigt. Er verweist auf die pseudowissenschaftlichen Wurzeln der Rassenlehre und wendet sich damit posthum gegen Kolonialismus und die Ideologie von Hitler und den Nationalsozialisten. Als ob er geahnt hätte, was in den folgenden Jahren Schlimmstes passieren würde.
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