Karl Heinrich Ulrichs (1825-1895)
Karl Heinrich Ulrichs ist der erste Aktivist der Homosexuellen Emanzipation. Er gibt Schwulen und Lesben erste positive Selbstbezeichnungen und veröffentlicht als einer der wissenschaftliche Texte zur Gleichgeschlechtlichen Liebe. Als Gesetzte für eine zukünftiges vereinigtes Deutsches Kaiserreich diskutiert werden sollen, sieht er seine Chance diesen Paragrafen zu verhindern und outet sich beim Juristentag als 1. Mensch öffentlich als homosexuell, oder wie er damals sagte als „Urning“.… mehr im Audio oder im Text weiter unten
Weitere Audio-Beiträge:
Weiterführende Links & Quellen:
- Buch „Das andere Berlin – Die Erfindung der Homosexualität: Eine deutsche Geschichte 1867 – 1933″, von Robert Beachy, Siedler Verlag 2015
Das andere Berlin – Beachy, Robert; Freundl, Hans; Pfeiffer, Thomas – Dussmann – Das Kulturkaufhaus - [Englisch] Podcast-Episode “The First Queer Activist”, aus dem Podcast „Betwixt The Sheets: The History of Sex, Scandal & Society”, 2022, Kate Lister & Douglas Pretsell
https://podcasts.apple.com/de/podcast/betwixt-the-sheets-the-history-of-sex-scandal-society/id1612090432?i=1000568384966 - [Englisch] Podcast-Episode “Karl Heinrich Ulrichs”, aus dem Podcast „Making queer history“ Laura Darling, 2020
https://open.spotify.com/episode/5FfOF0Sn0V7m0YqNvWEFyU?si=Yd73pMNrSnymm4kv0rvAbQ&t=1
Bildergalerie Karl Heinrich Ulrichs
Karl Heinrich Ulrichs wurde 1825 in Aurich in Ostfriesland geboren und wuchs in der Region Hannover auf. Er studierte Jura in Göttingen als auch 1846/ 1847 ein Jahr in Berlin, dessen Ruf als Ort für Homosexuelle ihm bei seiner Entscheidung für Berlin sicher bekannt war.
Nach dem Studium trat er in den Hannoverschen Staatsdienst ein. Doch wurde seine Karriere schon 1854 beendet, da sein Arbeitgeber das Justizministerium darüber informiert wurde, dass „… der Gerichtsassessor Ulrichs mit anderen Männern widernatürliche Wollust betreibe.“
Ulrichs hat gegen kein Gesetz verstoßen, da das hannoversche Strafgesetzbuch die gleichgeschlechtliche Liebe nicht kriminalisierte. Wohl gab es aber einen Paragrafen der widernatürliche Wollust und Erregung öffentlichen Ärgernisses verband und unter Strafe stellte. Die Gerüchte über seine sittenwidrige private Lebensführung reichten aus und er reichte seinen Rücktritt ein.
Nun wurde Ulrichs Journalist und schrieb ab 1862 Artikel für die Allgemeine Zeitung aus Augsburg. Die gerade neu entstandenen Bahnstrecken in Deutschland machten eine überregionale Verteilung der Zeitungen möglich.
Er verfasste eine Reihe von Schriften zur gleichgeschlechtlichen Liebe und zu den Auswirkungen der Sodomiegesetze. Er verfasste Rundbriefe, worauf er viele Dankbare Rückmeldung von anderen Gleichgesinnten erhielt, die bis dahin dachten sie sein die Einzigen. Er hatte auch das Bedürfnis sich seiner Familie zu erklären, dass es ihm Angeboren sei Männer zu lieben. In einem Brief schreibt er „Männer die Männer lieben, stellen ein drittes Geschlecht dar, gekennzeichnet durch eine feminine Natur, gefangen im physischen Körper eines Mannes…. Es sei ungerecht, wenn man von ihm erwarte, ein Leben im Zölibat zu führen. Sexuelle Befriedigung sei ein gottgegebenes Recht.“ Das schrieb Ulrichs im 19. Jahrhundert an seine Familie. Es ist bemerkenswert, wie Ulrichs Familie ihn niemals explizit verstieß oder ablehnte, ihn sogar weiter unterstützte, trotz der für die damalige Zeit radikalen wie verstörenden Offenbarung über seine sexuellen Vorlieben.
Im April 1864 veröffentlicht er seine erste Schrift unter Pseudonym. Er führt den Begriff „Urninge“ ein, abgeleitet vom griechischen Gott Uranus, der als alleiniger Erzeuger der Aphrodite die gleichgeschlechtliche Erotik symbolisiert. Damit gibt er Männern, die Männer lieben einen ersten identitätsstiftenden Namen. In einer späteren Schrift führt Ulrichs den Begriff „Urninden“ als Bezeichnung für Lesben ein.
Kernthese seiner Schriften ist, die uranische Liebe ist angeboren oder naturgegeben, weder durch Krankheit noch durch willentliche Perversion verursacht, und als solche konnte eine Ausübung nicht kriminalisiert werden.
Man kann sagen, dass Karl Heinrich Ulrich in seinen Schriften auch die queere Identität erfunden hat, indem er als erster formuliert, dass Sexualität ein Teil von einem ist, nicht nur eine Handlung. Er hat Homosexualität als Identität gesehen. Somit legt er die Grundlagen, dass es überhaupt homosexuelle Gemeinschaften geben kann. Und erst durch diese Gemeinschaften ist eine Forderung nach Rechten der sexuellen Freiheit möglich.
Seine Veröffentlichungen zeigten ihre Erfolge, die Debatte über den juristischen Umgang mit gleichgeschlechtlicher Liebe war in Gang gebracht. Juristen, Ärzte und Wissenschaftler nahmen davon Notiz.
1866 besiegte Preußen im zweiten deutschen Einigungskrieg Österreich und es deutet sich damit an, dass Preußen eine deutsche Einigung anführen könnte. Die Aussicht auf eine baldige deutsche Einigung ließ auch den deutschen Juristentag am 29. August 1867 in München zusammentreffen, denn das Land benötigt auch einheitliche Gesetze, worüber dort diskutiert wurde. Der Juristentag war die Bühne für Ulrichs öffentliches Outing, raus aus dem Pseudonym, um Straffreiheit und gesellschaftliche Akzeptanz zu fordern.
Er beginnt seine Rede aber erntet lauten Protest, er bricht die Rede ab, fährt dann doch fort, aber er wird seine Rede nicht zu Ende führen, da er weiter oft durch Protestschreie unterbrochen wird. Ulrichs Forderungen werden nicht vom Juristentag unterstützt. Doch das weltweit erste öffentliche Outing ist vollbracht, die Rede wird veröffentlicht, der Samen ist gesät, das Wort ist draußen, der Diskurs ist angestoßen.
Da Preußen die deutsche Einigung anführte, beeinflusste es mit seinem Strafgesetzbuch auch das bald, 1871 gründende Deutsche Reich. 1868 beauftragt Bismarck ein Strafgesetzbuch vorzubereiten, woraufhin eine Kommission beauftragt wird, die Sodomiegesetze zu beurteilen. Im März 1869 legt die Kommission ein Gutachten vor, in dem sie sich gegen Sodomiegesetze ausspricht.
Die Berliner Öffentlichkeit im Jahre 1869 ist jedoch beeinflusst durch zwei Verbrechen mit Bezug zu Homosexualität. Der Mord im Invalidenpark an einem vergewaltigen und verstümmelten Bäckerlehrling (1867) und ein schlimmer Missbrauch eines kleinen Jungen durch einen Mann (1869) werden beide oft in den Boulevardblättern thematisiert. Die Öffentlichkeit kann Homosexuelle, Pädophile, Sexualstraftäter und Sadisten nicht auseinanderhalten.
Die Regierenden setzen sich über die Empfehlung der Kommission hinweg und nehmen den Sodomie-Paragrafen in das neue Strafgesetzbuch auf, mit Verweis auf das „Rechtsbewusstsein des Volkes“. Der Sodomie-Paragraf landet als Paragraf 175 im Gesetzbuch und stellte sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Als im Januar 1871 die Gründung des Deutschen Reiches erfolgt, sorgt dies auch für die Übernahme des Paragrafen 175 in das Gesetz des deutschen Kaiserreiches.
1880 unternahm Ulrichs eine Reise nach Italien und sollte sein restliches Leben in Italien bleiben, wo er 1895 im Alter von 74 Jahren verstarb. Sein großes Ziel, die Sodomie-Gesetze zu verhindern, blieb ihm versagt, doch seine Theorien regten Wissenschaftler an, zu forschen und halfen anderen ihre sexuellen Triebe zu verstehen. Er trug wesentlich dazu bei, eine Gemeinschaft gleichgesinnter homosexueller Menschen zu schaffen.
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