Hilde Radusch (1903-1994)

English
switch to english version

Hilde Radusch hatte ein sehr bewegtes und teilweise hartes Leben. Sie verlor aufgrund ihrer kommunistischen Mitgliedschaft ihren Job, wurde verhaftet und leistet Widerstand gegen das Naziregime. Sie wurde nach dem Krieg von der KPD als Lesbe aus der Partei ausgeschlossen, kämpfte nicht nur um ihr persönliches wirtschaftliches Überleben, sondern auch für die Rechte von Lesben in der Nachkriegszeit.  mehr im Audio oder im Text weiter unten

Ort A:  Gedenkort Hilde Radusch, Eisenacher Straße 11-14, Berlin-Schöneberg

Ort B: Berliner Ehrengrab H. Radusch #V4 -008-010, Alter St. Matthäus Kirchhof, Berlin-Schöneberg

Weitere Audio-Beiträge inkl. Wegbeschreibung:

Weiterführende Links & Quellen:

Bildergalerie x

Hilde Radusch wurde 1903 in Altdamm bei Stettin geboren und kam 18-jährig nach Berlin Schöneberg, um der der gesellschaftlichen vorgezeichneten Ehekarriere zu entgehen und um mit einer Ausbildung als Kinderhortnerin ein selbständiges und selbstbestimmtes Leben führen zu können. Doch ihre Mitgliedschaft im Kommunistischen Jugendverband sorgte dafür, dass sie in ihrem ausgebildeten Beruf keine Anstellung fand. So wurde sie Telefonistin bei der Post, wo sie schnell in einer Betriebsratsposition auch eine politisch wirksame Funktion fand, indem sie Kolleginnen vor dem Arbeitsgericht vertrat. Bei der Post lernte sie ihre auch erste Freundin Maria kennen, mit der sie bis 1933 zusammenblieb. Mit ihr besuchte sie die Berliner Lesbenbars, wie den Toppkeller.

Über ihre Abende im Topkeller in der Schwerinstrasse 13 berichtete Hilde Radusch in einem Interview [mit Claudia Schoppmann (1986)] und erinnert sich an den „Wäschetanz“: „Die Röcke damals waren ja ziemlich lang, und darunter waren die Unterröcke mit Spitzen. Es wurde also getanzt, man durfte den Rock so ein bisschen anheben, und das war furchtbar sexy. Dann kam die Polonaise, bei der man über die Stühle klettern musste, die an der Kellerwand standen, um endlich zu dem ersehnten Küsschen zu kommen. Das war so aufregend, dass Frauen aus allen Klassen dahin kamen, auch Schauspielerinnen. Immer war es voll, und freitags kam man kaum noch rein“.

Weil Hilde als Frau nicht mit Mitglied im paramilitärischen Roten Frontkämpferbund werden durfte, gründete sie kurzerhand den „Roten Frauen und Mädchenbund“. Als Höhepunkt ihrer politischen Karriere war sie KPD-Abgeordnete in der Berliner Stadtverordnetenversammlung von 1929-1932. Doch die Partei ließ sie nicht erneut kandidieren, ein Grund war ihre offen lesbische Orientierung. Sie reiste nun auf Einladung in die Sowjetunion als deutsche Delegierte für das Postwesen. Sie kehrte danach in ein nun nationalsozialistisch regiertes Deutschland zurück. Sie wurde nach ihrer Rückkehr 1933 von den Nazis verhaftet und als „Politische“ für ein halbes Jahr in Schutzhaft gesteckt. Nachdem KPD-Verbot durch die Nazis arbeitete sie weiter illegal für die Partei.

1939 lernte sie ihre Lebensgefährtin Else Klopsch, genannt “Eddy”, kennen. Sie eröffneten in Berlin Mitte gemeinsam den Mittagstisch „Lothringer Kücher“, der auch später als Unterschlupf für Illegale wie Kommunist*innen und Jüd*innen diente.

Mit Eddy tauchte sie im August 1944 in der Nähe von Königs Wusterhausen in einer Laube unter, um der drohenden Verhaftung ehemaliger politischer Gefangener zu entgehen. Ohne Lebensmittelmarken ist dies eine Zeit, die von Hunger geprägt ist.

Nach Kriegsende bis Februar 1946 arbeitete sie als Büroleitern für das Bezirksamt Schöneberg in der Abteilung „Opfer des Faschismus“. Dabei gibt sie in einem Fragebogen der Abteilung an, dass die Nazis 1000 Mark geboten hätten, für jemanden, der Eddy und ihr eine strafbare Handlung nachweisen könne.

1946 trifft sie ein weiterer harter Schlag, als ihre Partei und politische Heimat, die KPD, welche sie unter Gefahren im Untergrund der Nazizeit unterstützt hatte, sich gegen sie wendet.  Wegen ihres Lesbischseins wird sie aus der Partei ausgeschlossen, und verliert damit auch ihre Arbeit und Einkunftsquelle.

Es folgen Jahre der Diskriminierung und wirtschaftlicher Not mit Arbeitslosigkeit oder unsteten Anstellungen. Der Trödelladen von Eddy sorgt für ein geringes Einkommen.  Nach dem Tod von Eddy 1960 wird es ruhig um sie, bis sie in der beginnenden Lesbenbewegung aktiv wird. Auslöser ist 1974 der Fernsehfilm „Und wir nehmen uns unser Recht! Lesbierinnen in Deutschland“ über eine Gruppe Berliner Frauen der „Homosexuellen Aktion Westberlin“. Hilde schrieb ihnen daraufhin einen Brief: „Ich sah Sie im Fernsehen und möchte Ihnen meine guten Dienste anbieten. Ich habe je 8 Jahre, 2 Jahre und 21 Jahre mit einer Frau zusammengelebt und halte mich auf diesem Gebiet für kompetent. Was ich Ihnen allerdings nützen kann, weiß ich nicht, denn ich bin 70 Jahre alt. Aber, unsere Leut‘ liegen mir am Herzen.“

Sie wurde daraufhin Mitglied in der L’74, einer West-Berliner Gruppe älterer lesbischer Frauen und gehörte zur Redaktion der UKZ – Unsere kleine Zeitung, der ersten Lesbenzeitschrift nach 1945. Ihr war Dokumentation und Zugang von Geschichte und Wissen bedeutend, so wurde sie auch Mitbegründerin des Feministischen Frauen-Bildungs und Informationszentrums FFBIZ.

Sie lebte ein Leben abseits der Konventionen, engagierte sich immer für andere Menschen, nicht nur im theoretischen, sondern in der konkreten Tat. Dafür nahm sie in ihrem Leben Rückschläge, Diskriminierung und Verzicht in Kauf.

1994 starb sie im Alter von 91 Jahren in Berlin-Schöneberg und wurde auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof beigesetzt. Das Grab ist als Ehrengrab der Stadt Berlin eingestuft. An ihrem letzten Wohnort in der Eisenacher Straße 11-14 wurde 2012 der Gedenkort Hilde Radusch eingeweiht.

Quellen:

  • https://mh-stiftung.de/projekte/biografien/hilde-radusch/
    Ilona Scheidle „Hilde Radusch“ [online].
  • https://www.lesbengeschichte.org/bio_radusch_d.html
    Schoppmann, Claudia: Hilde Radusch (1903-1994) [online]. Berlin 2005
  • Spurensuche im Regenbogenkiez, Seite 69ff, Seite 28-29
  • Schoppmann, Claudia: Zeit der Maskierung. Lebensgeschichten lesbischer Frauen im „Dritten Reich“. Berlin
  • Muss es denn gleich beides sein? Aus dem Leben einer Aufsässigen“. TV-Film von Petra Haffter und Pieke Biermann, BRD 1985 verfügbar im Berliner „Spinnboden Lesbenarchiv