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Eva Siewert (1907-1994)

17 - Ort der Zwangsarbeit Eva Siewert, Brotfabrik Aschinger

Saarbrücker Str. 36-38, Berlin-Pankow

das Audio ist leider noch fertig 🙁 kommt aber bald 🙂

Eva Siewerts Leben war geprägt von Widerstand und Verfolgung als frauenliebende* Frau und Halbjüdin sowie von ihrem künstlerischem Schaffen als Essayistin, Chefredakteurin und „Stimme“ von Radio-Luxemburg. Weil sie selbst von den Nazis zu Gefängnis und Strafarbeit verurteilt wird, konnte sie ihrer Lebensgefährtin Alice Carlé um 1943 keinen Schutz vor der Deportation nach Auschwitz bieten. Eva Siewert erinnerte nach dem Krieg unter anderem in der Erzählung „Das Orakel“ an ihre geliebte Alice.

(dieser Text ist auch im Audio-Clip zu hören)

Eva Siewert, wurde am 11. Februar 1907 in Breslau geboren und verbrachte den Großteil ihrer Jugend in Berlin. Bis 1923 besuchte sie das Hohenzollern-Lyzeum in Wilmersdorf.

Nach einem Aufenthalt in Teheran 1930/1931 beeindruckte sie in Radiovorträgen mit ihrer Stimme, was ihr eine Anstellung bei Radio Luxemburg einbrachte. Von 1932 bis 1938 war sie dort als dreisprachige Chefsprecherin und Chefredakteurin beschäftigt. Ihre Karriere wurde jedoch durch den Nationalsozialismus jäh beendet. Als Tochter einer jüdischen Mutter galt sie als „Mischling 1. Grades“ und unterlag einem Berufsverbot.

Mutig war Eva im Ausleben ihrer queeren Identität als frauenliebende Frau, was gesellschaftlich tabuisiert und teilweise auch verfolgt wurde. Auch wenn sich Paragraph 175 nur auf Männer bezog mussten lesbische Frauen Schutzhaft oder andere Drangsalierungen der Strafbehörden erleiden. Wie genau Eva ihre Freundin Alice Carlé kennenlernte, ist nicht bekannt. Sie wurden ab 1938 ein Paar, und Alice übernachtete häufig in Evas Wohnung in der Keithstraße 6 in Berlin-Tiergarten, wo sie sich sicherer fühlte als bei ihrer eigenen Familie. Ihre Beziehung bot beiden Frauen emotionalen Halt in einer bedrohlichen Umgebung. 

Doch die zunehmende Bedrohung führte zu Ausreiseversuchen, die Eva in „Das Orakel“ beschreibt: „Damals wurde uns klar, daß Bleiben Lebensgefahr bedeutete. Bis zum 9. November 1938 war der Wunsch nach Auswanderung der Wunsch nach Freiheit gewesen. Jetzt wurde er zur Notwendigkeit. Es galt, sich zu retten. Wir haben kein Konsulat ausgelassen. Es gab keinen Staat der fünf Erdteile, dem wir unser Anliegen nicht vortrugen. Kein Antragsformular für Einreisevisa, das wir nicht gemeinsam ausfüllten […]. Aber nun war der Krieg da. Lange gefürchtet. Oft prophezeit. Wie sollten wir denn nun noch herauskommen?

Die beiden besuchten auch eine Hellseherin, die an Eva gerichtet sagt: „Erst kommen Sie weg.“ Dann blickte sie auf Alice: „Dann kommen Sie weg, sehr weit weg.“ Sie machte eine Pause, weil die beiden Freundinnen aufatmeten. Sie schlug jedoch die Hoffnungen wieder zunichte oder dämpfte sie doch zumindest sehr stark: „Dann sehen Sie sich nie mehr wieder.“

Im Mai 1941 wurde Eva Siewert zum ersten Mal verhaftet und aufgrund von antifaschistischen Witzen in Briefen zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Kurz darauf, im Jahr 1942, wurde sie erneut verhaftet. Dieses Mal wurde sie von Arbeitskolleginnen wegen „Wehrkraftzersetzung“ denunziert – sie habe den Krieg als verloren bezeichnet. In der Folge wurde Sie zu neun Monaten Gefängnis verurteilt.

Von März bis Dezember 1943 verbüßte Eva Siewert ihre Strafe im Frauengefängnis in der Barnimstraße 10. Trotz ihrer angeschlagenen Gesundheit musste sie Zwangsarbeit leisten, unter anderem für AEG und in der Brotfabrik Aschinger.

In dieser Zeit besuchte Alice zweimal wöchentlich eine Bäckerei, die dem Gefängnis gegenüber lag. Die Frauen versuchten sich wenigstens zu sehen.: „Mehr durfte nicht geschehen. Schon ein Lächeln oder Nicken bedeutete schwerste Gefahr für sie und Kellerstrafe für mich.“

Während der Gefängniszeit Evas wurde Alice Carlé zusammen mit ihrer Schwester Charlotte im August 1943 von der Gestapo verhaftet und nach Auschwitz deportiert, wo beide ermordet wurden.

In einem Brief an Kurt Hiller schrieb Eva Siewert später, dass sie Alice aufgrund ihrer Gefängnisstrafe nicht geschützt werden konnte: „[…] das kostete mich das Leben bester jüdischer Freunde, die sonst, wenn dicke Luft war, bei mir versteckt wurden, nun meines Schutzes im kritischsten Augenblick entrieten. Aus Auschwitz kam keiner zurück.“

Nach dem Krieg arbeitete Eva als Journalistin in Berlin. Sie setzte ihrer Lebensgefährtin Alice in der Erzählung „Das Orakel“ ein berührendes Denkmal. Hier hielt sei fest: „Ich träumte oft, dass Alice an meine Tür klopfte und mich bat, sie zu verstecken, wie wir es verabredet hatten. Immer war sie auf der Flucht.“ [….]Ich schrieb nach Tel Aviv. Dort lebte der Bruder, der Einzige der Familie, der schon 1934 ins Ausland entronnen war. Wir erhielten nie eine Antwort. Es klopfte nie an meiner Tür. Das Orakel hatte sich erfüllt.

Eva Siewert setzte sich auch für die Rechte queerer Menschen ein. Um 1950 trat sie als einzige Frau dem Vorstand des neu gegründeten Berliner Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) bei. Ihr Engagement in der Nachkriegszeit brachte sie auch in Kontakt mit Kurt Hiller, einem einflussreichen Aktivisten für die Rechte Homosexueller. Hiller bezeichnete Siewert sogar als eine der bedeutendsten Essayistinnen ihrer Zeit.

Ab Mitte der 1950er Jahre lebte Eva Siewert zurückgezogen in Berlin. Sie träumte von einem Leben im Ausland, insbesondere in Frankreich, konnte sich eine Übersiedlung jedoch nicht leisten. Am 3. Dezember 1994 verstarb sie in ihrer Wohnung am Berliner Südwestkorso 33 in Wilmersdorf.

Die Wiederentdeckung der Geschichte von Eva und Alice erfolgte durch den Historiker Raimund Wolfert. 2018 wurde ein digitaler Gedenkraum unter eva-siewert.de eingerichtet, der ihre Leben würdigt.

 

*Eva Siewert benutzt offenbar nie die Bezeichnungen „Lesbe“ oder „lesbisch“. Zu ihrer Zeit gehören diese Wörter nicht so sehr zum allgemeinen Sprachgebrauch, auch nicht zu dem frauenliebender Frauen untereinander.

Bildergalerie Eva Siewert

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Weiterführende Links & Quellen:

    • Digitaler GedenkraumWer war Eva Siewert? 1907 – 1994von Raimund Wolfert
    • Buch „Damals wurde uns klar, dass Bleiben Lebensgefahr bedeutete. Eva Siewert und Alice Carlé, eine Liebe während der Shoah von Raimund Wolfert, Oranna Dimmig und Claudia Schoppmann (Hrsg.), Berlin 2025
    • Essay Das Orakel von Eva Siewert aus „Der Weg. Zeitschrift für Fragen des Judentums“, Jg. 1, Nr. 37, 1946, S.5
    • Online-Artikel „Eva Siewert (1907-1994) Kurt Hillers „Schwester im Geiste“ – „Wilde Freundschaft für Sie im Herzen meines Hirns“ von Raimund Wolfert 
      Online-Artikel „Alice Carlé und Eva Siewert: Eine Liebesgeschichtevon Raimund Wolfert

Hinweis Begrifflichkeiten:

Die in den Texten verwenden Begriffe, werden teilweise so verwendet, wie sie zur Zeit der queeren Held*innen üblich waren, wie zum Beispiel das Wort „Transvestit“, welches als Selbstbezeichnung von einigen Personen gewählt wurde. Dies würden wir heute viel differenzierter ausdrücken, unter anderem als Trans*, Crossdresser, Draq King, Draq Queen, Gender-nonkonform oder nicht binär. Sofern möglich, werden die Bezeichnungen gewählt, die die Person für sich (vermutlich) gewählt hatten, jedoch wissen wir teilweise nicht, wie sich die Personen selbst bezeichnet haben oder wie sie sich mit dem heutigen Wortschatz beschreiben würden.

Zudem wird auch das Wort „Queer“ verwendet, welches zur Zeit der meisten beschriebenen queeren Held*innen noch gar nicht existierte. Dennoch ist es heute das passendste Wort, um inklusiv alle die zu bezeichnen, die nicht der heterosexuellen-cis-Mehrheit entsprechen.

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