Anita Augspurg (1857-1943)
Anita Augspurg war eine lesbische Juristin und Pazifistin und die bedeutendste Frau des sogenannten radikalen Flügels der ersten Frauenbewegung, die vor allem durch ihren Einsatz für das Frauenstimmrecht Anfang des 20. Jahrhunderts bekannt wurde. … mehr im Audio oder im Text weiter unten
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Audio-Beiträge:
Weiterführende Links:
- Podcast-Folge „Wo ist das Recht der Frau? – Anita Augspurg (1857-1943)“ aus dem Podcast „Frauen von Damals“ von Bianca Walther, 13.11.2020, 2h:14min
https://podcasts.apple.com/de/podcast/frauen-von-damals/id1516320246?i=1000498404107 - Podcast-Folge „Anita Augspurg, Frauenrechtlerin (Todestag 20.12.1943)“, aus dem Podcast WDR Zeitzeichen, 20.12.2018, 15min
https://www.ardaudiothek.de/episode/wdr-zeitzeichen/anita-augspurg-frauenrechtlerin-todestag-20-12-1943/wdr-5/58761178/ - Online-Artikel „Anita Augspurg“ von Prof. Dr. Susanne Kinnebrock, in Digitales Deutsches Frauenarchiv, 24. April 2017
https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/anita-augspurg
Anita Augspurg war eine lesbische Juristin und Pazifistin und die bedeutendste Frau des sogenannten radikalen Flügels der ersten Frauenbewegung, die vor allem durch ihren Einsatz für das Frauenstimmrecht Anfang des 20. Jahrhunderts bekannt wurde.
Sie wächst in Verden an der Aller auf, besuchte ein Lehrerinnenseminar in Berlin, wird Schauspielerin in Riga und Amsterdam und Fotografin mit eigenem Atelier „Elvira“ in München am englischen Garten (Von-der-Tannstraße 15, München ab 1888). Sie war unkonventionell, ritt im Herrensitz durch den englischen Garten, war Vegetarierin, rauchte, fuhr Fahrrad und später Auto und trug einen Kurzhaarschnitt. Sie studierte Jura in Zürich, weil Frauen der Zugang zur Universität in Deutschland noch verwehrt wird und wird 1897 die erste promovierte Juristin im Deutschen Kaiserreich.
Sie veröffentlicht ab 1895 erste Publikationen als Juristin. Dabei ist ihre Kernthese, dass die Frauenfrage eine Frage der Finanzierung des Lebensunterhalts ist, oder wie sie es formuliert, eine „Nahrungsfrage“. Heute würden wir sagen, es geht ums Gender Pay Gap, der liegt im Kaiserreich bei 50%. Da nur rechtliche Veränderungen die Situation der Frau verbessern könne, fordert sie die Vollanerkennung der Frau als gleichberechtigtes Subjekt neben dem Manne, und ist in diesem Punkt auch nicht für Kompromisse zu haben. Sie will Eherecht verändern, welches die Frauen wie Minderjährige behandele. Im Gegensatz zu militanteren Feministinnen entsagt sie der Gewalt und sagt „Wir Frauen wollen keine Gesetze brechen, wir wollen Gesetze machen!“;
Sie zieht 1899 nach Berlin und engagiert sich für die Rechte der unverheirateten Frau. Sie geht auf Aufklärungstour durch viele Städte und hält Vorträge mit Fokus auf Familienrecht und Eherechte. Sie fordert zur Jahrhundertwende bei der Neuformulierung des BGB die Frau als Bürgerin zweiter Klasse abzuschaffen. Eine konkrete Forderung ist beispielsweise die Gütertrennung.
Augspurg, ihre Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann, Katharina Erdmann und Minna Cauer galten als der radikale Flügel der Frauenbewegung, welche das sofortige Stimmrecht ohne Kompromiss für Frauen forderte. Minna Kauer war eine der Initiatorinnen des Vereins „Frauenwohl“ und gründete die Zeitschrift „Die Frauenbewegung“ bei der Augspurg enge Mitarbeiterin von Cauer wurde. Nach einem Zerwürfnis mit Cauer im Jahr 1907 publizierte Augspurg die Monatszeitschrift „Zeitschrift für Frauenstimmrecht“ in Eigenregie. Von 1912 bis 1913 verlegte sie die Zeitschrift „Frauenstimmrecht“ und ab 1919 „Die Frau im Staat“ für ihre feministischen, radikaldemokratischen und pazifistischen Positionen. In ihren Veröffentlichungen nimmt sie klar Stellung gegen die zunehmenden antisemitischen Entwicklungen und kritisiert politische Missstände.
Den größten Erfolg erreichten die Frauenrechtlerinnen 1918 mit dem Erhalt des allgemeinen und gleichen Frauen-Wahlrechts in Deutschland.
Ab 1907 lebte Augspurg wieder in München in der Kaulbachstraße 12a zusammen mit Lida Gustava Heymann. 1915 während des Ersten Weltkriegs initiiert Augspurg den Internationalen Frauenfriedenskongress in Den Haag mit, auf dem der „Internationale Ausschuss für einen dauernden Frieden“ gegründet wird. Später wird der Ausschuss in „Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit“ umbenannt. Augspurg ist bis 1933 Teil des Vorstands des deutschen Ablegers. Augspurg und Heymann nahmen an internationalen Frauen-Friedenkonferenzen teil und engagierten sich mit Flugblättern gegen den 1. Weltkrieg. Nach einem brutalen Übergriff durch Nazis im Januar 1923, beantragen Augspurg und andere Frauen unerfolgreich beim bayerischen Innenminister die Ausweisung des Österreichers Adolf Hitler wegen Volksverhetzung. Hitler begeht Monate später seinen Putschversuch.
Augspurg äußerte sich nie öffentlich zu ihrer Homosexualität, wahrscheinlich um den Kampf um Frauenrechte und Pazifismus nicht zu gefährden. Sie konnte ihr Beziehungsleben mit Heymann relativ ungestört leben, der Paragraph 175 der für Homosexualität eine Gefängnisstrafe vorsah, galt nur für Männer. Sie wollte sich wohl Handlungsräume offenhalten, denn ihre Homosexualität wäre als Krankheit gesehen worden, was die argumentative Position für Frauenrechte geschwächt hätte. Den Kampf für Frauenrechte muss sie als wesentlicher eingeschätzt haben als ihre Diskriminierung als frauenliebende Frau.
Nach der Machtübernahme der Nazis befinden sich Augspurg und Heymann im Schweizer Exil, da sie aufgrund des Antrags auf Ausweisung Hitlers auf der Liste der zu liquidierenden Personen stehen. Beide werden ausgebürgert, ihr Besitz wird beschlagnahmt und sie leben fortan durch Unterstützung von Freund*innen im Exil in Zürich, wo sie als 70jährige noch Autofahren lernte. Anita Augspurg verstarb 1943, nur 5 Monate nach ihrer geliebten Lida, nach jahrzehntelanger gemeinsamer Liebes- und Arbeitsbeziehung. Heute wird in München jährlich der Anita Augspurg Preis für Engagement für Frauengleichstellung verliehen.
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